Ein Festival als Kniefall – die 20. Jubiläumsausgabe Animateka

Spotlight

Ein Filmemacher*innen-Q&A – nicht nach dem Film, sondern am nächsten Tag und in einem anderen Venue on top, ist das nicht eine miserable Idee? Wird der Saal nicht leer sein? Die Antwort ist ein Nein, und zwar ein Entschiedenes: Denn es kommen viele Menschen zu den Q&As, die der Festivalleiter Igor Prassel gemeinsam mit Chris Robinson – eigentlich Leiter des Ottawa International Animation Festivals, aber eben auch Berater der slowenischen Animationsinstitution – tagtäglich bei der 20. Jubiläumsausgabe Animateka (27.11.-3.12.) veranstaltet. Manchmal sogar rund 60. Was als kleines Wunder erscheint, ist im Grunde reinste und natürlichste Animateka-DNA: Schließlich ist gerade der „Respekt für den Autor“, den Prassel immer wieder betont, bei den Q&As besonders greifbar. In seinen eigenen durchdachten Fragen beispielsweise, die trotz Nerdigkeit nie die Aufmerksamkeit des Publikums strapazieren. Und in den Bällen, die er sich mit Chris Robinson zuwirft, auch wenn es dabei manchmal etwas bro-humorig wird. Im Grunde erscheint also das Publikum, um die Wertschätzung der beiden zu wertzuschätzen, egal wie kurz die Rakija-Nacht vorher auch war (meist sehr kurz).

 

Eröffnung © Andrej Firm

 

Dass Wertschätzung bei Animateka großgeschrieben wird, ist aber auch an vielen anderen Punkten im Festival fühlbar. Da wären zum Beispiel die Anmoderationen vor den Wettbewerben, bei denen garantiert auch nie nur ein*e Filmemacher*in vergessen wird (und die zum Teil nach vorn kommen, um – Festivaltraditionen wollen zelebriert werden – alte Festival-T-Shirts als Präsente ins beglückte Publikum zu werfen). Aber die Wertschätzung zeigt sich auch in der Programmierung selbst, die immer eine Verbindung sucht zur Animationsgeschichte, und die Werte wie Loyalität und Solidarität großschreibt. So gestaltete der italienische Animationskünstler und Maler Gianluigi Toccafondo dieses Jahr den wunderbaren Festivaltrailer (und kein jüngeres „cool kid“) – nachdem er im ersten Festivaljahr von Animateka bereits den Trailer realisierte. Und Chris Robinson ehrte mit seiner Screening-Reihe „Collage Animation“ eine Tradition von ihren Anfängen (u.a. Terry Gilliam) über die Grand Master wie Martha Colburn bis zu aktuellen Vertreter*innen der Technik wie Stacey Steers mit ihrem fabelhaften THE NIGHT HUNTER. Dass dieses Jahr rund 300 Festivalgäste nach Ljubljana kamen, hat viel mit diesem Kniefall zu tun, die das Festival vor dem Medium Animation hinlegt – es kommen auch nämlich Filmemacher*innen, die nicht unbedingt einen Film im Programm haben für diese besondere Art der Festivalbegegnung.

 

Karaoke © Marijo Zupanov

 

Begegnung, das ausgelutschte Zauberwort aller Festivals, hat bei Animateka auch wirklich noch einmal einen ganz besonderen Stellenwert. Man könnte auch sagen: Sie ist in Ljubljana völlig unumgehbar. Schließlich findet das Festival mit all seinen Programmpunkten in gerade einmal zwei Kinosälen im stadteigenen Kino Kinodvor sowie in der filmhistorischen Kinemateka statt, und alle wichtigen Partys – die alljährliche Karaokenacht (die angeblich als Animationfilmfestival-Tradition beim Animafest Zagreb geboren wurde), die in diesem Jahr von zwei Drag Queens eingerahmt und moderiert wurde sowie die Eröffnungs- und Abschlussparty mit leckerem Buffet – werden in das Kinodvor-Foyer gepresst, sodass man unversehens mit allen tanzt, und keine noch so klitzekleine Festivalbegegnung irgendwelchen Augen verborgen bleibt. Diese Intimität, für die viele immer und immer wieder kommen, gilt es laut Prassel zu wahren – obwohl es manchmal schon arg eng wird und die Kinotickets knapp. Er selbst vermutet, dass er ab 2025 (wenn Animateka im gerade entstehenden Arthouse-Multiplex des Kinodvor zwei weitere Säle bespielen kann) eine programmatische Neuausrichtung vornehmen muss, zumal er das Festival auch stärker zu einem Publikumsfestival machen mag, ohne dabei zu kommerziell zu werden. Ein Balanceakt.

 

Kinodvor © Andrej Firm

Kinodvor © Andrej Firm

 

Und immer wieder die Wurzeln nicht vergessen! Passend zu den wunderschönen, mittelalterlichen Grundfesten der südosteuropäischen Hauptstadt, schulte Prassel seinen kritischen Blick für und auf die (Animations)geschichte bereits im Laufe seiner Journalismusausbildung. Dann wurde er Mitherausgeber des Comics  . Er kam viel herum, und erarbeitete sich Netzwerk-Skills, bevor er vor sich dann vor 23 Jahren beim Pesaro Film Festival mit dem Animationsvirus infizierte: Das dort gezeigte 100-Years-Of-Animation-Programm ist eine fortlaufende Inspirationsquelle, bis heute. So begann Prassel bereits unter dem Namen Animateka in der animationshistorische Retrospektiven in der slowenischen Kinemathek auszurichten, die er beispielsweise den Altmeistern Daniel Szczechura, Norman McLaren, Émile Cohl oder Jan Švankmajer widmete, getreu seinem Motto „We should never forget the pioneers“. Aus diesen Retrospektiven erwuchs dann das eigentliche Festival.

 

Schnell identifizierte Prassel auch einen inhaltlichen USP Animatekas: Der Wettbewerb sollte nicht wie beispielsweise in Annecy den state-of-the-art in Sachen weltweiter Animation abbilden, sondern bewusst zeigen, was im eigenen Land sowie in angrenzenden Nachbarregionen, also Zentral-, Süd- und Osteuropa, produziert wird. Wie sich auch die Schweiz in dieses Cluster verirrt hat? Die Produktionsbedingungen seien ja nicht immer so gut gewesen wie heute, sagt Prassel, vielleicht etwas kleinlaut. Damit ist der Animateka-Wettbewerb nicht nur ein Fenster zur Region, sondern ein veritables Sprungbrett für den Nachwuchs, auch im eigenen Land. Hier nahm beispielsweise auch die Karriere von Špela Čadež ihren Anfang, die im letzten Jahr mit ihrem STEAKHOUSE auf der Short List der Academy Awards stand.

 

Neben einem Panorama-Programm gibt es dann für die restliche, eher westliche Animationswelt das „Best of the World“-Programm, ein Langfilm-Programm, Sonder-Events sowie AnimatekaPRO mit Masterclasses und anderen Formaten, das Elephant-Programm für die Kleinen sowie den Studenten-Wettbewerb, der alle Herkunftsländer vereint.

Seit diesem Jahr existiert außerdem erstmals ein VR-Wettbewerb, in dem 10 unterschiedliche Werke miteinander konkurrierten. Zum Gewinner dieses Wettbewerbs wurde eine VR-Erfahrung über einen Luftzug durch die Stadt und Landschaft und seiner Verwandlung in einen Sturm gekürt, FLOW VR von Adriaan Lokman, Lucid Realities/Valk Productions. Sehr poetisch und handwerklich wunderschön; die filigranen 3D-Animationen wirken wie aufs Blatt bzw. in die VR-Umgebung geworfen.

 

It’s just a whole © Bianca Scali, Animationsinstitut, Filmakademie-Baden-Württemberg

 

Auch die zwei weiteren Hauptpreise gingen an zwei Werke, die stark von ihren analog-haptischen Qualitäten leben: Bianca Scali gewann mit ihrem IT’S JUST A WHOLE den Studentenwettbewerb; ein Film, der viel von den Papiertexturen lebt, die sie mit digitaler Animation verbindet. Und Marta Magnuska sicherte sich mit ihrem MISALIGNED den Grand Prix, auch für die „Furchtlosigkeit vor dem weißen Blatt“ (Jury-Statement), auf dem sie die fortschreitende Entfremdung innerhalb einer Beziehung mit einem großen Gespür für Timing und Raum mittels Kohlezeichnung klaustrophobisch nachspürbar macht. Nur das Publikum konterkarierte das Faible der Animateka-Juries für das Handgemachte – das besonders gut zu Animateka mit seinem Traditionsbezug zu passen scheint – mit einem ganz und gar zeitgenössischen Blick: Es vergab den Audience Award an HARDLY WORKING von Total Refusal, der abermals ein Computerspiel „entfremdet“, konkreter: NPCs (non-playable characters) in Red Dead Redemption 2, anhand derer (Un)tätigkeiten das Kollektiv seine Marx-getränkte Kapitalismuskritik durchexerziert. Sehr unterhaltsam, aber auch sehr didaktisch.

 

Misaligned © Marta Magnuska

 

Apropos handgemacht und Historie: Auch der inzwischen 52-jährige Igor Prassel ist sich bewusst, dass ein Festival sich sein Überleben nur sichern kann, wenn es nicht nur die Errungenschaften der Vergangenheit hochhält, sondern auch in nachfolgende Generationen investiert. Das gilt nicht nur für das Programm, sondern auch die Organisation. So zieht er nun seit einigen Jahren für den Studentenwettbewerb Ana Šturm kuratierend hinzu, und auch das Kinderprogramm habe er weitgehend delegiert. Chris Robinson berät außerdem bei der Finalisierung des Wettbewerb-Programms. Doch wenn er dann auf der Bühne steht und alle wichtigen Events selbst mit der richtigen Mischung aus Informiertheit, Humor und Nonchalance anmoderiert, nur um im Anschluss mit allen ein Bier zu trinken, dann fragt man sich schon, wie Animateka irgendwann im Post-Gründervater-Zeitalter florieren wird. Aber wozu in die Ferne schweifen. Bis dahin bleiben ja noch ein paar Jahre homegrown und klassisches Intendanz-Modell im wirklich allerbesten Animationssinne.