(Text only available in German)
Weder Kunst noch Kino – was passiert, wenn die Haushaltslage entscheidet.
Seit einigen Wochen ist es in Berlin eine Frage des Geldes. Nachdem bei einer Senatsklausur existenzbedrohende Kürzungen bei Einrichtungen wie dem Podewil, dem Künstlerhaus Bethanien, den Kunst-Werken und den Freunden der Deutschen Kinemathek (mit unseren Arsenal-Kinos) beschlossen wurden, werden erstmalig genre-übergreifende Identitätsmerkmale benannt: es geht um die durch Eigeninitiative und Selbstausbeutung entstandenen und in Unterfinanzierung durchaus erprobten Institutionen, um die innovativen, die avantgardistischen, und irgendwann aus einer linken Kulturpolitik heraus gewachsenen. Es wird eine eindeutige “Tendenz” bei den Sparmaßnahmen diagnostiziert. Tendenz wohin? Hätten die Betroffenen in einer solchen Situation dafür Zeit, könnte man diese Gelegenheit nutzen, einmal zu fragen, was es denn ist, was die Institutionen miteinander verbindet. Auch die Presse, die es einem bei Projekten, in denen sich Kunstund Kino überschneiden, nicht leicht macht, weil die Rubriken in der Berichterstattung auseinandergehalten werden müssen, kommt ins Schleudern. Wohin gehört der Bericht über die Sparmaßnahmen? Film? Kunst? Stadtgeschehen?
Naturgemäß bleibt in den – übrigens teilweise erfolgreichen, aber längst nicht beendeten – Kämpfen keine Zeit für solche Fragen. Was nun folgt, kann daher nur so etwas wie eine Erfahrungssammlung aus Kino, Filmverleih und immer wieder Film-in-Galerie-Vorführung sein und ein thesenhafter Versuch, auf einige der Fragen, die Reinhard Wolf in den Raum gestellt hat, eine Antwort zu geben. Auch ich hoffe auf den Beginn einer öffentlichen Debatte vor allem von Seiten des Films.
Die lebhafte Kino-versus-Kunst-Debatte ist nicht nur eine Zeiterscheinung durch Digitalisierung und die Zunahme bewegter Bilderwelten, sondern auch Produkt einer Retro-Welle.
Galerien präsentieren zunehmend bewegte Bilder, sowohl von bildenden Künstlern, als auch durch Einbeziehung von FilmemacherInnen, die in bestimmten Kreisen durchaus längst etabliert sind, aber im Kunstkontext eine Neubewertung erfahren, nicht selten verkauft als Neuentdeckung (wobei ich die Qualität der Neubewertung für viel interessanter halte).
So kam es in den letzten Jahren zu einigen Revivals. Eine ganze Generation erhielt Auftrieb: Yvonne Rainer, Bruce Conner, Morgan Fisher, Michael Snow, Joyce Wieland, um nur einige Namen aus Nordamerika zu nennen, hierzulande ist sicherlich Harun Farocki das bekannteste Beispiel. FilmemacherInnen, die in den 60er und 70er Jahren ihre erste Blütezeit hatten, aus einer Zeit und einem künstlerischen Umfeld kommend, in denen Kunst- und Filmproduktion aus dem gleichen Handlungsbedarf heraus und im Rahmen einer ähnlichen Rhetorik entstanden, erfahren neue Beachtung. Die meisten der hier genannten haben immer genreübergreifend gearbeitet. Anderen eröffnet der Galerie-Kontext ganz neue künstlerische Wege. Allen gemeinsam ist eine Ansiedlung jenseits des kommerziellen Kinos.Bekannt wurden sie innerhalb einer bestimmten Zeit und Szene, grob umrissen als ästhetische oder politische Avantgarde und als solche gingen sie in die Filmgeschichte ein. Jetzt erfahren sie eine neue Aufwertung, die sie selbstredend verdient haben – und das ist erst einmal zu begrüßen. Interessant daran ist eine Folgerung, die sich daraus ziehen lässt: Das derzeitige Zusammenwirken von Kunst und Kino ist keinesfalls einfach etwas, von dem man behaupten kann, dass es wellenförmig in jeder Generation einmal auftaucht. Vielmehr handelt es sich auch um das Produkt eines durchaus retrospektiv gerichteten Interesses. Das Thema “Kunst und Kino” wurde nicht primär aus Gründen technischer Weiterentwicklung neu erfunden, sondern unter veränderten Bedingungen wieder sichtbar und verlangt nun gegenwartsbezogene Schlussfolgerungen, vor allem auch im Hinblick auf technische und institutionelle Fragen.
Das Kino ist ein Resultat filmischen Denkens.
Zu Beginn der 90er Jahre habe ich mit einer feministischen Forschungs- und Projektgruppe (“Übung am Phantom”) an der Ausstellung “when tekkno turns to sound of poetry” teilgenommen, die sich mit dem Phänomen der sogenannten Technologie-Kultur seit den 70er Jahren bis heute befasste. Im Zentrum der ersten Ausstellung, die in der Shedhalle Zürich stattfand, stand die Rolle der Konzeptkunst als Vorwegnahme von Abstraktionsprozessen durch die zunehmende Verschriftlichung und Technologisierung im Kontext einer feministischen Debatte. “Übung am Phantom” ging der Frage nach, inwieweit der sogenannte “Strukturelle Film”, der Anspruch auf die “Reinheit des Mediums” erhebt, frei von geschlechtlicher Identitätszuschreibung ist. Um der Selbstreferentialität des Strukturellen Films gerecht zu werden, bauten wir in die Ausstellungshalle einen Kinoraum, dessen Hauptmerkmal es war, nur zu vorgegebenen Zeiten bespielt zu werden. Die Innenwände durchzog ein Schriftzug, mit dem wir einen Satz aus dem Film SO IS THIS von Michael Snow zitierten: “A good thing about reading words like this and not hearing a voice is that you can’t accuse it of being male or female.” Innerhalb dieses Raumes hielten wir Vorträge und zeigten wir Filme nordamerikanischer Strukturalisten, um nachzuweisen, dass auch in der Reduzierung auf mediale Selbstreferentialität, also im “puren” Formalismus, noch Identitätszuschreibungen hervorgebracht werden. Zeigten wir keine Filme oder hielten wir keinen Vortrag, demonstrierten wir unsere Abwesenheit mit Projektorengeräusch vom Tonband.
Das Zitat blieb im Zitat stecken. Der zweite Teil der Ausstellung fand in den Berliner Kunst-Werken statt. Den strukturellen Filmen stellten wir nun Filme der gleichen Zeit gegenüber, die der politischen Aufklärung und der Agitation galten. Film wurde zum historischen Dokument. Das inszenierte Kino in der Galerie funktionierte nicht mehr. Wir zeigten feministische Agitationsfilme seit den 60er Jahren bis in die Gegenwart (Filme von Helke Sander, Claudia von Alemann, Cristina Perincioli, Lizzie Borden, Jenny Livingston, u.a.) und gingen damit ins Kino, anstatt es zu zitierten, wo wir als Teil des Publikums am Filmerlebnis teilhatten. Die Distanz zur Leinwand, das Dispositiv, ermöglichten erst ein Weiterdenken und die Erkenntnis, dass bei aller Ambitioniertheit ein Filmprogramm ein visueller Prozess ist: Filme funktionieren nicht in der Belegfunktion, die wir uns in Zürich erhofften. Zwar wurden wir ihrer Besonderheit gerecht, wenn wir ihnen im Ausstellungsrahmen Raum und Zeit verschafften, doch gleichzeitig verpassten wir die Chance, sie als Programm funktionieren zu lassen: Filme, als Belege verstanden, verlieren ihr Dasein. Ein filmischer Zugang zu welchem Diskurs auch immer, ist ein prozesshafter: Mehrere Filme an einem Diskurs teilhaben zu lassen, erfordert eine wahrnehmungsorientierte Zusammenstellung, die einen Prozess des Sehens in Gang setzt. Hierbei hilft das Dispositiv Kino in seiner Räumlichkeit und Zeitlichkeit: es ermöglicht Kinoerfahrung. Die Bedingungen dafür herzustellen ist die kuratorische Aufgabe.
Verhandelt wird Zeitökonomie als Identitätsmerkmal
Könnte man Filmmenschen von Kunstmenschen daran unterscheiden, wie sie sich angesichts eines Videos oder Films verhalten? Vorstellbar wäre, dass diejenigen, die eine Kinoerziehung genossen haben, es ganz lassen oder eine Zeitangabe suchen, um die Spanne zwischen Anfang und Ende herauszufinden, den exakten Beginn abzuwarten und bis zum Ende zuzusehen. Handelt es sich um einen Loop, verharren sie so lange in der Zuschauerposition, bis sie glauben, “alles”, d.h. das was zwischen einem selbstdefinierten Anfang und Ende liegt, gesehen zu haben. Von der Kunst erzogene Besucher dagegen suchen keine Zeitangabe, weshalb sie übrigens häufig gar nicht vorhanden ist, und entscheiden situativ anhand des zufällig gerade gesehenen oder des mitgebrachten Vorwissens, wieviel Zeit sie den bewegten Bildern geben, sie rezipieren also von vornherein nur einen Teil der Arbeit, den sie aber als ganze Arbeit bewerten. Interessant war in diesem Zusammenhang bei der letztjährigen Berlin-Biennale eine Arbeit von David Clearbout (“Vietnam, 1969, near Duc Pho – reconstruction after Hiroshimi Mine «friendly fire’), eine Projektion mit Angabe einer Dauer (3 Minuten), die sich aber nicht zu bewegen schien. Diejenigen, die dennoch beschlossen, mindestens 3 Minuten stehenzubleiben, um herauszufinden, worin die Dauer besteht (in einer leichten Lichtveränderung), wurden von denjenigen beobachtet, die sich fragten, warum einige so lange vor diesem Bild stehen.
Dreimal viel Zeit oder drei Monate lang keine Zeit
Paradoxerweise ist es übrigens gar nicht so, dass man argumentieren könnte, das Kino lasse dem Film im Unterschied zur Galerie mehr Zeit, zumindest trifft das nur in einem bestimmten Sinne zu. Ein Kino wie das Arsenal zeigt die meisten Filme ein-, zwei-, im Höchstfall dreimal. Wir setzen die Filme in Kontexte zu anderen Filmen, was bei Kurzfilmprogrammen leichter vermittelbar ist, bei Filmreihen mit Langfilmen jedoch für die meisten nur durch das Studium des Monatsprogramms erfassbar ist, da die wenigsten drei Wochen lang täglich oder jeden zweiten Abend im Kino verbringen können. Bei einem Festival ist das vielleicht anders, aber auch das ist zeitlich sehr begrenzt. Eine Ausstellung kann dagegen drei Monate dauern, in denen der Film täglich gesehen werden kann und die hergestellten Verbindungslinien zwischen den ausgestellten Arbeiten sind für jeden bei einem Galeriebesuch ersichtlich. Doch spätestens an dieser Stelle, wenn Filme in eine solche Ausstellungspraxis integriert werden sollen, geht es um Materialität und um Rechte.
Der Einfluss auf herkömmliche Verleihstrukturen ist noch gar nicht ganz abzusehen.
Da wir nicht nur als Kino, sondern auch als Verleih tätig sind, sind wir zunehmend auch mit Filmbestellungen aus dem Galeriebereich konfrontiert. Da heißt es dann in der Regel erst einmal darauf hinzuweisen, dass wir ein Filmverleih und kein Videoverleih sind – die Anforderungen mögen inzwischen andere sein, aber noch sind unsere fast 7000 Filme einfach auf Zelluloid (und wahrscheinlich wird das auch so bleiben, denn selbst wenn man es wollte und es im Einzelfall überzeugende Gründe dafür gibt, ist eine Übertragung auf digitales Trägermaterial in diesem Ausmaß nicht finanzierbar – d.h. man müsste entscheiden, welche Filme “es wert” sind – was gemessen an der Verantwortung der Filmgeschichtsschreibung, die so vollzogen wird, ein wichtiger Aspekt ist). Das bedeutet neben den technischen Anforderungen, die eine adäquate Vorführung an die Ausstellung stellt, dass weder Loops noch tägliche Vorführungen über einen langen Zeitraum möglich sind, will man die Kopien am Leben erhalten. Nachdem wir vor einigen Jahren zahlreiche Kurzfilme in eine Schweizer Galerie verliehen hatten, die versicherte, jeden Film nur einmal zu zeigen und ein Großteil der Kopien ruiniert zurückkam, da sie offensichtlich doch öfter oder nicht sachgemäß vorgeführt wurden, sind wir vorsichtig geworden.
Geradezu vorbildhaft verhielten sich dagegen die Kuratoren der Ausstellung “Malerei ohne Malerei” im Museum der bildenden Künste in Leipzig, die sich sehr offen unseren Argumenten gegenüber zeigten. Hier erklärte man sich bereit, für die Ausstellungsdauer von mehr als zwei Monaten, in denen tägliche Vorführungen von Joyce Wieland-Filmen stattfinden sollten, neue 16mm-Kopien zu finanzieren, die im Rahmen der Ausstellung abgenutzt werden konnten, ohne, dass die einzigen in Europa zur Verfügung stehenden Kopien dadurch gefährdet wurden. Dies ist aber nur in den Fällen möglich, in denen Negativmaterial zugänglich ist.
Allerdings tauchte die Frage auf, wie man die Vorführungen berechnet (nicht selten sind Galeristen äußerst überrascht, dass sie überhaupt etwas zahlen müssen). Eine Abrechnung nach branchenüblichen Modalitäten würde bei einem so langen Zeitraum zu einer kaum bezahlbaren Rechnung führen. Ein Kino würde einen Film niemals so lange spielen, insbesondere keinen Film von Joyce Wieland. Und würde es das wollen, könnte es das nicht bezahlen. Es braucht also einen neu zu erfindenden Modus, der für alle Beteiligten realistisch bleibt, dazu müssen Kopienbesitzer und Lizenzinhaber (die nicht immer identisch sind) und Lizenzgeber befragt werden. Die Kinos könnten zurecht anmerken, warum bislang gültige Verleihstrukturen plötzlich aufgebrochen werden können, wenn das Interesse von Seiten der Kunst kommt. Zudem können Kopien durch eine Ausstellung wochenlang für die bisherigen Entleiher, die Kinos, gesperrt sein.
Einen 16mm-Projektor bei der nächstgelegenen Landesbildstelle zu entleihen ist billiger als eine DVD zu produzieren.
Um die Filme im Rahmen der Leipziger Ausstellung vorgeführt zu bekommen, war es nötig, eine Person des Aufsichtspersonals darum zu bitten, die es gelernt hatte, 16mm-Projektoren zu bedienen. Die umliegenden Videoloops wurden wegen der Nebengeräusche abgeschaltet und der Film vorgeführt. Dies ist eine elegante Lösung, um den Besucher oder die Besucherin, der oderdie nun schon jemanden bemüht hat, dazu zu bewegen, den Film bis zum Ende anzusehen. Und trotzdem kann das Publikum, das den Galeriebesuch nicht zu vorgegebenen Anfangszeiten antritt, weiterhin kommen, wann es will. Es werden also neue zeitliche Koordinaten erfunden oder möglich gemacht, um Film im Rahmen einer Ausstellung zu präsentieren. Was sich dabei jedoch grundsätzlich vom Kino unterscheidet, die Tatsache, dass sich im Kino zu einer verabredeten Zeit viele Besucher einfinden, die den Film gemeinsam sehen. Das fällt nun weg, d.h. es schließen sich nur zufällig vorbeikommende Besucher dem Publikum an. Aber wie häufig findet sich in einem Kino zur verabredeten Zeit gar niemand ein?
Purismus ist ein Totschlagargument
An der Wand neben der Projektion wurde erklärt, dass es konservatorische Gründe sind, die es erfordern, dass die Filme nur auf Anfrage gezeigt wurden. Hier wurde in einem Galerie-Kontext den Filmen ungewohnter Respekt gezollt. Und jetzt kommt ein weiterer Punkt, dermir sehr am Herzen liegt: Wenn Purismus, dann, weil er aus taktischen Gründen not tut. Der ewige Purismus-Vorwurf gehört für mich zu jener klischeebeladenen Haltung zum Kino, die ich bereits erwähnt habe. Puristisch mögen Filmarchivare sein, die unter dem Vorwand der Materialrettung Filme niemals der Öffentlichkeit zeigen. Das führt die Materialrettung selbstredend ad absurdum. Der alte Streit der Archivare, ob man Filme zeigen soll, bis sie vollkommen abgespielt sind, oder gar nicht, hat lange genug die Gemüter geplagt. Als eine Institution, die stets das Zeigen der Filme vorgezogen hat (und jetzt manchmal zähneknirschend, aber noch immer überzeugt, richtig gehandelt zu haben, mit einigen abgespielten und nicht mehr zeigbaren Kopien dafür büßt), möchte man ungern in eine Neuauflage dieser Diskussion einsteigen und schon gar nicht wegen Unkenntnis des Gegenübers in die “puristische” Position gezwungen werden, die man nie vertreten hat. Genauso wenig möchte man immer und immer wieder erklärenmüssen, dass man nicht den Film zeigt, wenn man eine VHS-Cassette präsentiert, geschweige denn, warum man der öffentlichen Vorführung eines Films als Video nicht zustimmt (hierzu gibt es zahllose Beispiele der Ignoranz, bis hin zu einem sehr etablierten Ausstellungsort in Frankfurt, an dem selbst ein Film von Fassbinder ohne Genehmigung in einer schlechten Video-Projektion vorgeführt wurde). Dabei geht es ja nicht um die Frage von Kopie und Original – dies wäre ein Widerspruch zum technischen Medium Film – sondern schlicht um die bestmögliche Qualität, um einen Perfektionsanspruch also, der in keiner anderen Kunst eine Rechtfertigung verlangt. Nebenbei gibt es verbindliche Rechtslagen, die es zu klären gilt.
Einige Schulen des Sehens verschließen die Augen
Die technischen Voraussetzungen sind längst noch nicht ausgereift und die Financiers noch nicht gefunden, um “alle” Filme auf digitales Trägermaterial zu übertragen – es ist auch längst noch nicht entschieden, welchen Interessen das dienen würde (außer der Sicherung vor Materialverlust), was gleichbedeutend mit der Frage der Zuständigkeit für die Durchführung und die Finanzierung ist und – nicht zu vergessen – für die Frage, wer entscheidet, was digitalisiert wird. Hier gibt es noch viel zu diskutieren, auch die Frage der technischen Ausstattung der Kinos, die flexibel gehandhabt werden muss wie nie zuvor, was ebenfalls kaum finanzierbar ist. Was hier dringend fehlt, ist eine Einsicht der Kinos und Festivals in die Tatsache, dass es nicht nur darum geht, sich einem technischen Evolutionsprozess anzupassen. Von Seiten der filmischen Institutionen wird die Digitalisierung der Filme bislang nur unter zwei Aspekten diskutiert: marktorientiert einerseits und filmhistorisch, also unter Aspekten der Archivierung und Restaurierung andererseits. Dass die technischen Veränderungen jedoch auch neue Konkurrenzverhältnisse erzeugen – eben zu Ausstellungsorten, die bestimmte Formate vielleicht früher oder besser präsentieren können, blieb dort bislang weitgehend unbeachtet. Genauso wie die Tatsache, dass FilmemacherInnen “abwandern”. Ewige Frustrationen über die Tatsache, dass man mit (meist kurzen) Experimentalfilmen kein Geld verdienen kann – übrigens mitverschuldet durch Vorführungen irgendwie erstandener Videokopien, ohne, dass die FilmemacherInnen davon ü berhaupt wissen – führen zwangsläufig zu der Überlegung, DVD-Versionen durch Galerien vertreiben zu lassen. Filmemachen und Geldverdienen stehen in keinem gerechten Verhältnis zueinander. Doch dies ist sicher nur ein Aspekt. Die wenigen Vorführungen, die ein Experimentalfilm auf einem Festival oder im Kino hat, können gar nicht, oder nur in Ausnahmefällen, die Resonanz hervorrufen, die angemessen wäre. Die Einmaligkeit einer Vorführung erfordert ein Vertrauen in die Veranstalter, dass diese alles tun, um das Kino für diese Vorführung voll zu bekommen, die meist nicht sehr interessierten Filmredaktionen (hier spreche ich für ganz Deutschland, in Berlin haben wir essicherlich besser) mobilisieren und den Zufallsfaktor möglichst gering halten. Wer hat hierzulande schon die Chance, mit einem neuen zwölfminütigen Experimentalfilm in die Feuilletons zu gelangen? Und die Zahl derer, die nicht nur Interesse am Experimentalfilm, sondern auch Kenntnisse und Urteilskriterien mit in die Vorführung bringen, ist begrenzt. Um an dieser Situation etwas zu ändern, verlangt es eine kontinuierliche akzentuierte Programmarbeit an möglichst vielen Spielorten, die sich damit eine Position erarbeiten müssten, die ähnlich maßgeblich für ein kunstinteressiertes Publikum ist, wie eine Ausstellungshalle. Mir ist bewusst, dass dies das Anliegen vieler Kommunaler Kinos ist, die chronisch unterfinanziert und dazu nicht oder nur sehr begrenzt in der Lage sind. Aber in vielen Köpfen steckt auch zu tief die Annahme, ein Kino müsse das zeigen, was “das Publikum” will. Welches Publikum will denn das Kino?
Die Bewegung der Bilder gibt die Notwendigkeit ihrer ständigen Neuverhandlung vor.
Als FilmwissenschaftlerInnen, -kuratorInnen, -theoretikerInnen haben die meisten von uns einmal die Erfahrung gemacht, dass ein kunstwissenschaftlicher Zugang zum Film Unbehagen erzeugen kann. Filme werden aufgrund ihrer Motive, ihrer Inhalte ausgewählt, ungeachtet ihrer formalen (filmischen) Qualitäten als Dokumente eines künstlerischen/biographischen Umfeldes oder anhand eines sehr eingeschränkten Kanons, der die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Filmgeschichte und Gegenwart bis hin zur bloßen Existenz der Filmwissenschaft ignoriert. Aber auch ein solcher Blick kann perspektivisch eingreifen und als Korrektiv wirksam sein. Insofern führt es nicht weiter, darauf zu beharren, dass Ausstellungsorte korrupt sind und sich das Kino unberechtigterweise aneignen. Als Kinoschaffende sollte man sich vielmehr in das Geschehen einmischen und positiv zur Kenntnis nehmen, dass z.B. 250 ZuschauerInnen im 21. Jahrhundert einen Film von Laura Mulvey zum ersten Mal sehen (im Kino), weil die “Kunstwissenschaft” dazu einlud, oder das Kino wieder voll wird, wenn Morgan Fisher, der eine Ausstellung in einer benachbarten Galerie hat, zu Gast ist. Entsprechend muss es möglich sein, Kuratoren aus dem Kunstkontext, an den Stellen, an denen es nötig erscheint, von den Besonderheiten des Kinos zu überzeugen. Und die “abtrünnigen” Filmemacherinnen und Filmemacher: Sie erscheinen ja gar nicht grundsätzlich mit ihren Filmen in Galerien, sondern zum Teil mit ganz anderen Arbeiten, seien es Installationen oder Fotografien (so z.B. Matthias Möller und Ulrike Ottinger). Hier geht es vielmehr um die Überlegung, welche Präsentationsform der Arbeit angemessen ist. Versuche, Film- und Videoinstallationen auch als Single-Screen-Arbeit für die Kinovorführung anzubieten (wie es Harun Farocki mit seinen “Gefängnisbildern” gemacht hat), oder umgekehrt, laufen häufig darauf hinaus, dass sich eines der beiden Modelle als das geeignetere erweist. Sharon Lockhard, die ihre 16 und 35mm-Filme im Rahmen von Filmfestivals herausbringt und sie anschließend in ein erfahrenes Filmarchiv gibt, legt im Wissen um die Tatsache, dass ihr Bekanntheitsgrad in der Kunstwelt größer ist – vertraglich genau festlegt, welche technischen Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ihre Filme gezeigt werden können. Wenn Experimentalfilmer, die bereits in einer langen Tradition stehen, wie Michael Brynntrup, immer wieder sagen, dass es keine generelle Entscheidung geben kann zwischen den vielen Film- und Videoformaten, sondern sich die angewandte Technik aus der Konzeption des Film/Videos ergibt, dann sollten wir als Kuratoren, sei es im Kino oder in der Galerie, dieser Entscheidung gerecht werden und die bestmöglichste Vorführsituation dafür bereitstellen. Ob ich im Kino auch Ausstellungssituationen schaffe, wie bereits mehrfach geschehen, oder mit Ausstellungsorten kooperiere, ergibt sich gleichfalls aus dem jeweiligen Projekt. Das gleiche erwarte ich von den Galerien: wenn sie einen Film nicht angemessen präsentieren können (was angemessen ist, wird immer wieder neu verhandelt werden müssen), sollten sie darauf verzichten oder eine Kooperation mit einem Kino eingehen. Und wenn es stimmt, dass “unsere” FilmemacherInnen in die Kunstwelt abwandern, dann gehe ich davon aus, dass man dort weiß, welche Verantwortung man trägt und den Filmschaffenden ihren Raum (oder ihr Kino) zur Verfügung stellt. Und nicht zu vergessen: überall dort, wo sich Finanzstrukturen ändern, ist die Verantwortung besonders groß. Wenn Kinos und Festivals auf Filme und Videos verzichten müssen, weil sie sie wegen der Preise, die in der Kunst gelten, nicht mehr bezahlen können, dann haben wir ein Problem. Das wird vielleicht ein wenig dadurch ausgeglichen, dass Chantal Akerman nur deshalb Installationen macht, weil sie dadurch Filme finanzieren kann. Wie auch immer, das Gleichgewicht ist spätestens dann wieder hergestellt, wenn die Regierung so viel Geld in den Sand gesetzt hat, dass wir alle wieder eins werden.
Berlin, April 2002
Stefanie Schulte Strathaus ist Filmwissenschaftlerin, Film- und Videokuratorin, lebt und arbeitet in Berlin. Ko-Direktorin des Arsenal – Institut für Film- und Videokunst (mit Milena Gregor und Birgit Kohler). Mitglied des Auswahlkomitees des Berlinale Forums, sowie Gründerin und Leiterin des Berlinaleprogramms Forum Expanded, das die Grenzen zwischen Film und anderen Künsten in den Blickpunkt stellt. Kuratorin zahlreicher Filmprogramme, Retrospektiven und Ausstellungen.