„Ich bin Dokumentarfilmemacherin.
Das sind die Nachrichten“

Porträt

Gudrun Krebitz macht experimentelle Animationsfilme – ein Porträt

ECHODROM, 2022 © Gudrun Krebitz

„Hast du Angst, es gibt dich nicht?“ fragt eine hallende Stimme in Gudrun Krebitz jüngstem Werk ECHODROM, während das Wasser vor sich hinplätschert. Da ist es wieder, dieses Du. Ein Markenzeichen von Krebitz, das manchmal dialogische Selbstvergewisserung ist, oft das metaphorische Gegenüber anspricht oder auch meistens gleich das potentielle Publikum.

„Man fühlt sich gern gemeint – insofern benutze ich das Du gern und bewusst.“

Das Du kann aber auch ein guter roter Faden sein, an dem man sich entlang durch Krebitz’ Welten tastet, sie visuell erspürt. Denn diese Welten sind oft opak, undeutlich, verschwommen, fantastisch-magisch – man ist ihnen in dieser Form noch nicht begegnet. Es sind weder narrative Filme, noch Themenfilme, sondern experimentell-assoziative Werke, die sich aber gängigen experimentellen-formalistischen Schubladen verweigern, weil Gudrun Krebitz zumeist mit der eigenen Stimme (Ausnahme: I KNOW YOU) und oft auch mit sich als Protagonistin arbeitet, und so auch zum emotional-subjektiven Austausch einlädt. Durch das Krebitzsche Du fühlen sich viele angesprochen: Gudrun Krebitz’ Filme sind bei Festivals weltweit zu sehen; für ihren Diplomfilm an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, ACHILL, erhielt sie 2013 den Goldenen Reiter auf dem Filmfest Dresden, für I KNOW YOU den Grand Prix international des Tampere Short Film Festivals 2010.

I KNOW YOU, 2010 © Gudrun Krebitz

Schon I KNOW YOU trägt das Du direkt im Titel. Hier präsentiert es sich bisweilen als etwas, das sich nicht in eine Schublade schieben und wegdenken lässt. Oder ist „Du“ doch „nur“ die Angst, nicht dazugehören zu können, auch wenn man ohnehin nicht dazu gehören möchte? In jedem Fall wird die skizzenhaft gezeichnete Figur ständig eingefangen, ihre eigenen tanzenden Beine werden zu einer riesigen Spinne, die sie umklammert hält. Später schiebt sich die Figur andere kleine Spinnentiere selbst in den Mund., „The lies I ate them all“, sagt die verzerrte Stimme Lola C. Bohles (eines der seltenen Male, dass es nicht Gudrun Krebitz’ eigene Stimme ist). Der Film entstand ohne irgendeinen Versuch von Form, Erklärung, Plan. Eine Synopsis gab es nicht. Die assoziativen, poetischen Textfragmente erscheinen dann auch dazu passend wie schnell aufs Papier gekritzelte, atemlose Notizen. I KNOW YOU ist, genau wie ihr zweiter Film, SHUT UP MOON, auf Papier gezeichnet – mit ihrem 2012-Film ACHILL wich dieser minimalistische Stil – und das Arbeiten mit einem Blatt und einem Stift – einer regelrechten Materialmanie: Krebitz ist hier schon mit der Kamera unterwegs, filmt sich selbst und eine Badewanne, immer wieder mischen sich gezeichnete Elemente ins Realbild, Übermalungen finden statt. Und Gudrun Krebitz macht das Du, das zärtlich angesprochen wird, einmal fast greifbar, zugänglich, in dem sie es in ein romantisches Gegenüber verwandelt. Ein Gegenüber, dem sie sich durch die Unschärfe oder auch rosarote Brille nähert und das dann immer weiter mit einem ganzen, zeitweise sogar scharfen Bild kontrastiert wird. Wobei sowohl die bildliche als auch die sprachlich festgehaltene Unschärfe keine Metapher oder ein Stilmittel darstellen: Gudrun Krebitz ist stark kurzsichtig – und sie präferiert manchmal die dämmrige Unschärfe, in der ihr die Welt dann erscheint. Keine Achillesferse also, sondern eine Stärke oder eine Superkraft der etwas anderen Art. Die sie entschieden hat, nicht zu korrigieren.

 

ACHILL, 2012 © Gudrun Krebitz

Eine andere Superkraft ist ihre Furchtlosigkeit vor „dem weißen“ Papier, die sie einfach nicht kennt. Sie sagt, sie habe schon immer gezeichnet. Immer, nie aufgehört, in allen Höhen und Tiefen und Arbeitsphasen. Das Zeichnen war auch ein Anker, als sie, die mit vier Geschwistern in Graz aufwuchs, mit 15 die Schule abbrach und auszog. Ein Bruch, der von außen unglaublich hart wirkt.  Daraufhin angesprochen, überlegt Gudrun Krebitz kurz: „Ja, rückblickend kann ich auch sagen, dass das ein ganz schöner Cut war, dass ich da noch ein Kind war. Aber damals dachte ich eben, ich sei erwachsen“. Krebitz war ein Jahr an der Kunstschule Wien eingeschrieben, begann – und beendete – eine Ausbildung als Illustratorin an einer Berufsschule. Im Anschluss ging sie nach Berlin. Sie machte ein paar Praktika und fing dann an, an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF zu studieren – ohne Schulabschluss, als eine*r der wenigen von der Hochschule zugelassenen „Besonderen Fälle“, weil ihre Professor*innen, darunter der jüngst verstorbene Gil Alkabetz, ihre besondere Begabung erkannten. Auch hier war das Zeichnen die Konstante, ohne das ausformulierte Ziel „Filmemacher*in“ am Ende des Ausbildungsweges. Das Festlegen auf den Begriff ist eine Einengung, aber Krebitz empfindet ihn vor allem auch als ungenau, weil er eine finale Intention voraussetzt, dabei wisse sie oft gar nicht beim Zeichnen oder Schreiben, ob daraus ein Film werde:

„Ich bin im Grunde keine Filmemacherin, ich mache einfach nur Filme“.

 

Vielleicht ist es ihrer Furchtlosigkeit vor dem weißen Papier geschuldet, dass sie nicht wie viele andere Animationsfilmemacher*innen mit Storyboard oder Animatic vorplant. Im Gegenteil. Der Entstehungsprozess ist genauso assoziativ und wild wie der mögliche Rezeptionsvorgang. Und Gudrun Krebitz macht dabei fast immer alles allein, inzwischen sogar die Soundebene. Nur noch die Mischung kommt von Marian Mentrup, der schon bei ihren ersten Filmen für die Soundebene verantwortlich zeichnete. Doch in der Zusammenarbeit kristallisierte sich immer mehr heraus, dass die Dummy-Töne, die Krebitz als Platzhalter angelegt hatte, oft besser funktionierten als im Nachhinein Komponiertes. Mentrup ist aber weiterhin eine*r der Ersten, der ihre Filme sieht und wichtigen Input gibt.

Dass auch das singuläre Arbeiten manchmal vom Kontakt mit dem Außen profitiert, erfuhr Gudrun Krebitz vor allem bei ihrem zweiten Studium am Royal Collage of Art, 2012 bis 2015. Eine Zeit, in der sie ganz enge Freundschaften knüpfte. Für Gudrun Krebitz ist 2022 ein regelrechtes Außen-Jahr – sie war als Stipendiatin im April und Mai in Venedig, und im Oktober absolviert sie in Schweden die International Film Residency in der Region Uppsala.

ECHODROM, 2022 © Gudrun Krebitz

Die visuelle Mitte von Gudrun Krebitz Filmen sind ihre Zeichnungen und Malereien, die seit ECHODROM noch detaillierter und farbiger geworden sind. Dabei arbeitet sie mit allen möglichen wasserbasierten Farben, mit Gouache und Acryl beispielsweise – und alles, was sie im Zweifel auch nicht nur gut mit dem Pinsel, sondern auch mit den Fingern verwischen und bearbeiten kann. „Fehler“ lässt Krebitz gern stehen, radiert aus, macht etwas sichtbar. Was auffällt: In ECHODROM findet sich nur noch selten ein Bild, dass einer klassischen Animationserwartung folgend, sequentiell in ein anderes übergeht. Gudrun Krebitz kommentiert das schulterzuckend, aber auch sehr trocken:

„Aber auch das ist doch so im Leben“.

Neben der malerischen Ebene gibt es dann Live-Action-Ebene, diese entsteht durch Videoaufnahmen mit dem Handy oder einer einfachen, leichten Handkamera, manchmal auch einer Super8-Kamera. Und dann hat sie immer ein Notizbuch dabei, in dem sie bei Bedarf notiert – auch wenn es eigentlich nicht passt.

„Im Grunde kann ich nicht mal joggen gehen, ohne dass mir was einfällt, das ich aufschreiben will“.

Vielleicht kommt ihr auch deswegen die Idee, Urlaub zu nehmen und beispielsweise nicht zu zeichnen, so absurd vor: Es gibt zwar eine Trennung von Beruflichen und Privatem, aber die Arbeitsbereiche verschwimmen, beziehungsweise gehen ineinander über. Und überall ist Material.

Im Anschluss an diese künstlerische Materialsammlung scannt Gudrun Krebitz das analoge Bildmaterial und editiert die Fülle in Photoshop, legt Ebenen übereinander. Im Schnitt entstehen dann auch die Sprach- und die Tonaufnahmen, die oft sphärisch anmuten. Wobei „sphärisch“ vermutlich kein von Krebitz gewählter Begriff wäre – denn dieser würde die Trennung von weltlich, außerweltlich, innerlich und äußerlich, real und imaginiert zementieren, die Krebitz immer wieder von neuem auflösen möchte. Dass einige ihre Filme als Flucht aus der Realität rezipieren, erstaunt sie regelrecht:

„Es handelt sich nicht um eskapistische Welten, Träume“.

Und sie lacht:

„Ich bin Dokumentarfilmemacherin. Das sind die Nachrichten. Sie zeigen, wie ich die Welt empfinde“.

Damit ging scheinbar auch das CPH:DOX Documentary Film Festival d’accord, bei dem ECHODROM diesen März seine Premiere feierte.

 

THE MAGICAL DIMENSION, 2018 © Gudrun Krebitz

Zum Thema macht sie diese für sie künstliche Unterscheidung zwischen „echt“ und „imaginiert“ in ihren Filmen immer wieder, vielleicht am explizitesten in THE MAGICAL DIMENSION, in dem Krebitz Stimme manifestmäßig (und natürlich überhaupt nicht manifestmäßig zugleich) proklamiert „You can always be at two places at once. Did you know? The real world and the magical world or if you prefer the term: The magical dimension“. Man hört einen Lichtschalter klicken, und der vorher düstere Hausflur einer Hausparty wirkt plötzlich wie in schummriges Rot getaucht. Krebitz sagt:

„Die stillen Zeichnungen sind mein Bestehen darauf, dass das die Wirklichkeit ist. Dass es diese Dinge gibt. Und wenn ich ein Stück Papier habe mit der Zeichnung drauf, dann ist das der Beweis dafür“.

Dass solche Bildwelten nicht irgendwann in einen Bereich kippen, den man „entrückt“ oder „romantisch“ nennen könnte, liegt auch daran, dass Krebitz oft genug vom poetischen Fragment in die Alltagssprache wechselt oder von einer ernsten in eine ironische Tonlage. So zum Beispiel eben in THE MAGICAL DIMENSION, als sie trocken kommentiert: „You don’t believe in a magical dimension? Allow me to make my surprise face“, und die Kamera die Hand einer Steinstatue in Close-up zeigt, die natürlich unbewegt bleibt und keine überraschte Mimik erscheinen lässt. Ein Augenzwinkern, subtiler Humor. Ihr aktueller Film, ECHODROM (Arbeitstitel: „Nachts im Bach“) hat ebenso leise, humorvolle Stellen. Und er lebt stark vom Wasser, das ebenso wie das Du in vielen Filmen eine Rolle spielt. Sie liebe Wasser in allen Formen, sagt Krebitz im Gespräch. Das Plätschern, das Rauschen, aber vor allem, wie wir Menschen uns mit dem Element des Wassers verbinden.

 

Gudrun Krebitz autarke Arbeitsweise und ihre analogen, fragmentarischen Bilderwelten konfrontieren sie immer wieder mit einer der Gretchenfragen innerhalb des Animationsbetriebs: Ist das jetzt Animation oder nicht? Für Gudrun Krebitz ist das eigentlich eine Witzfrage:

„Für mich ist das ganz klar: Sobald die Kamera angehalten wird und eine Manipulation stattfindet, ist es Animation. Sobald ein stilles auf ein bewegtes Bild sich treffen, ist es Animation“.

Aber fixe Produktionsprozesse, festgelegte Animationsschritte – das vermeidet Krebitz in ihrer Arbeit so weit wie möglich. Denn:

„Die Animation bedroht im Grunde meine stillen, unbewegten Zeichnungen“.

Ihre Freiheit im Ausdruck. Weil sie diese Abläufe und Strukturen als einschränkend empfindet, gibt sie auch den Studierenden, die bei ihr inzwischen an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF „Experimentelle Animation“ in den Grundlagen besuchen können, kein fixes Regelwerk vor. Vor allem: Niemand muss oder soll sich erklären. Vielleicht sucht Gudrun Krebitz auch deshalb immer wieder selbst mit ihren Filmen nach den Grenzen des Filmischen, empfindet den Rahmen der Leinwand als Begrenzung für ihre assoziativen Bildmontagen, die so sehr (über)fordern und nie ganz zu (be)greifen sind. Und das, obwohl sie inzwischen wie viele Independent-Filmemacher*innen Anträge auf Filmförderung stellt und dabei auch immer wieder aufgefordert ist, sich selbst und ihr Tun in eine bestimmte inhaltliche und visuelle Form „einzugemeinden“.

 

Um ihrem eigenen Schaffensprozess eine andere Freiheit zu geben, geht Krebitz inzwischen auch immer wieder in den installativen Kunstbereich hinein (der wiederum mit seinem eigenen Kategorisierungszwang kämpft). Gerade arbeitet sie beispielsweise an einer mobilen, begehbaren 360°-Installation, die sowohl in Wien als auch in Graz 2023 zu erleben sein wird. Diese beschäftigt sich mit einem Lieblingsthema von Gudrun Krebitz, die zu den Hauptprotagonisten ihrer Filme gehören: dem Mond und dem Weltraum. Mondfixiert sei sie, sagt Krebitz, die in ihren Studienjahren tatsächlich vor allem nachts arbeitete. Da sei zum einen die visuelle Komponente – also tatsächlich die Darstellung von Mond und Weltraum in Science Fiction-Filmen – aber auch die philosophische:

„Dass es da Dinge gibt, die so viel größer sind als wir, das beruhigt mich total“.

EXOMOON, 2016 © Gudrun Krebitz

Schon SHUT UP MOON gibt diese Faszination wieder, später EXOMOON. Für die 360°-Installation recherchiert sie außerhalb ihres eigenen Alltags, besucht einen Hobby-Astronomen-Club im Berliner Planetarium. Mit der Erweiterung der Animation in den physischen Raum hinein entsteht dann vielleicht auch noch mal die Möglichkeit, ganz anders in Krebitz Werke einzutauchen. Ihrer sinnlich-körperlichen Arbeit auch körperlich-sinnlich zu begegnen, und eben nicht rational Filmbestandteile zu analysieren, verstehen zu wollen. Das wäre vermutlich ganz in Krebitz’ Sinne.