Veit Helmer

Porträt

FENSTERPUTZER © Veit Helmer

FENSTERPUTZER © Veit Helmer

Veit Helmer ist einer der wenigen deutschen Filmemacher, die als Wandler zwischen den Genres die eigentlich als so hermetisch geltenden Grenzen zwischen dem langen Kinospielfilm und dem auf Festivals fixierten Kurzfilm überschreiten. Bekannt ist er als Autor, Regisseur und Produzent der Spielfilme TUVALU (1998/99) und DAS TOR ZUM HIMMEL (2003) oder des Dokumentarfilms BEYOND THE COUCH – CASTING IN HOLLYWOOD (2005), Filme, die mit mehr (TUVALU) oder minder (DAS TOR ZUM HIMMEL) großem Erfolg auf Festivals und in deutschen Kinos liefen. Seine Präsenz auf Kurzfilmfestivals ist allerdings nicht minder konstant und möglicherweise sogar erfolgreicher: Seit Ende der 1980er Jahre hat Helmer rund 15 Kurzfilme, teils sehr erfolgreich, auf Festivals und im Kino präsentiert und ein Ende ist nicht abzusehen. Mit Veit Helmer portraitiert shortfilm.de in seiner aktuellen Ausgabe demnach einen leidenschaftlichen Film-Enthusiasten ohne Berührungsängste.

Der Werdegang des Autors, Regisseurs und Produzenten Veit Helmers kann nur als mittelbar geprägt von seinem Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München bezeichnet werden. Er lernte dort zwar das Handwerk, feierte als Koautor des Spielfilms DIE GEBRÜDER SKLADANOWSKY (Regie: Wim Wenders) eine Urauffürung in Venedig und erntete mit SURPRISE (48 Festivaleinladungen und 26 Preise) eine für Hochschüler seltene öffentliche Aufmerksamkeit. Dennoch legte Helmer bereits in frühen Jahren großen Wert auf autonome Projektentwicklung und Produktion und die Kontrolle über die Verwertung seiner Filme – in Anbetracht der an der HFF gelehrten Arbeitsteilung zwischen Regie, Produktion und Verleih ein ungewöhnlicher, sicher auch schwieriger Weg. Damit hat er sich bis heute allerdings die Möglichkeit gewahrt, die Gestalt seiner Filme sowohl in künstlerischer als auch finanzieller Hinsicht voll zu bestimmen. Helmer gehört damit zur wichtigen Gruppe selbstständiger Filmemacher, die mit einem beachtlichen Grad an Professionalität eine hohe Produktionskontinuität garantieren. Seine besondere Wichtigkeit für die Außenwirkung des deutschen Kurzfilms liegt einerseits in seit Jahren konstanten internationalen Festivalteilnahmen und andererseits an der hohen Präsenz seiner Werke in Verleih und Vertrieb.

Erfreulich an Helmers „?uvre“ ist die Bandbreite seiner Filme, die vom „Production Value“, den filmischen Stilmitteln als auch den Themen her betrachtet Typologisierungen erschweren. Beim Publikum sehr beliebte Gag-Filme wie SURPRISE(1995) und DER FENSTERPUTZER (1994)  lassen sich nur schwerlich mit seinem in schwarz-weiß gedrehten Filmpoem TUVALU oder einer anarchischen, mit erotischen Fantasien spielenden Komödie wie GEORGIAN SUMMER vergleichen. Helmer hat einen im deutschen Film weitgehend ungewöhnlichen Stil etabliert, eine teils in groteske übergehende Poesie und einen überbordenden Humor, der seine Vorbilder eher im (süd-)osteuropäischen Film sucht als in der Kühlheit des französischen Kinos oder dem deutschen Fernsehfilm. Einstweilen erinnern Szenen aus Helmers Filmen an die Bildsprache Emir Kusturicas, er verzichtet aber im Gegensatz zu diesem weitgehend auf deutliche politische Bezüge. Sie verbindet der sympathisierende Blick für Gestalten am Rande der Gesellschaft, die bei Helmer alles andere als traurige Loser sind – damit setzt er einen deutlichen Kontrapunkt zu der am psychologischen Realismus orientierten so genannten Berliner Schule: seine Filme verquicken die harte Wirklichkeit mit Märchenwelten, sie sind bunt und laut und scheren sich meist nur wenig um politische Korrektheit.

Als Produzent und Vertriebspartner ist er durchaus bereit, sich für seine Filme leidenschaftlich ins Zeug zu legen. Bestes Beispiel ist seine kurze Komödie DER FENSTERPUTZER. Die Kinorechte für den Film wurden Ende der 1990er von Senator angekauft, um ihn entsprechend der Vorgaben des Filmförderungesetzes (§ 20) als Vorfilm von HIGH CRUSADE – FRIKASSEE IM WELTRAUM einzusetzen. Der Umstand, dass das Filmförderungsgesetz vorschreibt, einen mit deutschen Fördergeldern produzierten Langfilm bis 120 Minuten mit einem Kurzfilm zu koppeln, führt allerdings in der Praxis noch lange nicht dazu, dass dieser Kurzfilm auch an die Kinos ausgeliefert bzw. in den Kinos aufgeführt wird. Helmer unterschrieb den Verleihvertrag, schlug allerdings Senator ein Schnippchen und organisierte Presserummel mit der Schlagzeile „Endlich wieder ein Kurzfilm als Vorfilm!“. Auch Kinobetreiber sprach er selbstbewusst auf den Vorfilm an und warb mit Erfolg für den Einsatz seines Kurzfilms. Entgegen dem branchenüblichen Vorgehen musste der Verleih 120 Kopien herstellen und HIGH CRUSADE mit dem Kurzfilm koppeln.

Das Beispiel zeigt: Helmer kennt die Verwertungsbedingungen des Kurzfilms genau, weiß um die Zugangsbedingungen für die FFA-Referenzförderung, den Murnau-Preis und die  Rolle der Filmbewertungsstelle. Mit Herstellungskosten von rund 120.000 € für TOUR EIFFEL (1994) hat er somit wohl einen der teuersten deutschen Kurzfilme aller Zeiten hergestellt. Dennoch hat Helmer stets auch die kleinen Projekte liebgewonnen, die er in einer „Guerilla-Art“ herstellen kann und mit Mitteln der Referenzfilmförderung oder möglicherweise einem Rechtevorabkauf von ARTE oder 3sat finanziert. Einige seiner letzten Kurzfilme sind mit Hilfe von Workshops entstanden, die Veit Helmer in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und Studenten produziert hat. Ziel der Workshops war die Produktion von 35mm- Filmen, deren Drehbücher die Nachwuchsfilmemacher selbst erstellten und verfilmten. Helmer kümmerte sich um den finalen Schnitt und die Festivalpräsentationen und betätigte sich als künstlerischer Gesamtleiter während der Aufnahmen. Auf diese Weise sind seit 2001 insgesamt sieben Produktionen vorrangig in ehemaligen Sowjetrepubliken wie Georgien, Aserbaidschan, Usbekistan oder Kasachstan entstanden, die allesamt auf Festivals gezeigt und von TV-Sendern angekauft wurden. Auch wenn er künstlerisch bei den Filmen die Gesamtleitung innehat, stellt Helmer stets die fremde Autorenschaft, nämlich die der Nachwuchsfilmemacher, heraus. Im Rahmen seiner Workshops, aber auch jüngst als Koproduzent von SECURITY (Regie: Lars Henning, D 2006) zeigt sich Helmer erfreulich uneitel und beweist sich als Wissensvermittler, der Barrieren abbaut.

Aus wirtschaftlicher Sicht lohnt sich ein Kurzfilm allerdings auch für Veit Helmer nicht – für Helmer ist wie für viele andere Macher ein Kurzfilm letztlich „ein selbstorganisierter 1€ – Job: man arbeitet ein halbes Jahr, um am Ende selbst noch einmal draufzuzahlen.“ Dass unter diesen Bedingungen Erzählungen entstehen können, die im deutschen Kino ansonsten so gut wie keine Tradition besitzen, zeigt, dass Kurzfilm als Motor filmischer Erneuerungen noch lange nicht ausgedient hat.

(MJ)

www.veithelmer.de

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