Ute Aurand

Auftritt des Augenblicks

Paulina im Film HALBMOND FÜR MARGARET, Ute Aurand, D 2004

HALBMOND FÜR MARGARET, D 2004 © Ute Aurand

Ihre Filme besitzen eine besondere Konsistenz: Sie bestehen aus Licht und Farbe, selbst da, wo sie schwarz/weiß sind. Die Kamera tastet Oberflächen ab und lässt uns an Textur und Materialität teilhaben, sie genießen, anders wahrnehmen. Durch ihre Filme ziehen sich immer wieder auftauchende Motive, jeder Film setzt den vorausgegangenen fort: Stoffe, die schimmern oder sich wölben, Haut, die sich bewegt oder faltet, das Meer, das sich kräuselt oder träge dahinschleppt, Muster, Schatten, Staub, Alltagsgegenstände auf Schreibtischen oder in Vitrinen. ‚Flakonfilme’ nennt sie Karl Heil, selber Filmemacher und Wegbegleiter. Je nach Lichteinfall ändert sich das Äußere, nichts ist beständig, die Dingwelt teilt sich uns nur im Wechselspiel mit. Das Licht entscheidet, ob wir das Meer als einladend oder bedrohlich empfinden, den Raum als düster oder licht. Damit wären wir – kühn gesprochen – bei wahrnehmungspsychologischen Aspekten. Wer aber Ute Aurand kennt, weiß, wie sie mit ihrem ganzen Wesen jedweder Theorie-Vereinnahmung widersteht, ja, sich wiedersetzt. Das ‚Verkopfte’ ist ihr Ding nicht, das Erforschen wiederum schon.

1957 in Frankfurt am Main geboren und in Berlin aufgewachsen, ist sie aus der hiesigen Szene nicht mehr wegzudenken. Von 1979-85 studierte sie an der DFFB zusammen unter anderem mit Bärbel Freund und Ulrike Pfeiffer, die zu wichtigen Weggefährtinnen werden. Wikipedia hat Ute Aurand nicht in die Liste der bekannten Absolventen aufgenommen, was schon das ganze glückliche Dilemma beschreibt. Nie ist sie im Fernseh- und Filmbetrieb angekommen, nie hat sie diesen Weg angestrebt. Wer experimentelle Filme macht, die sich an kein Format, kein Genre und erst recht an keine Richtlinie halten, agiert in einer Parallelwelt.

Schon ihr allererster Film SCHWEIGEND INS GESPRÄCH VERTIEFT (1980) entstand, wie erste Filme eben oft entstehen: „….durch einen besonderen, manchmal unfreiwilligen Mut, häufig ohne Wissen über filmische Gesetze, einzig aus der Notwendigkeit, diesen Film machen zu wollen“, erinnert sie in einem Artikel „wie ich zum film(en) kam“.

Die Titelzeile, die aus einem Spottgedicht stammt, birgt schon ihr ganzes Credo:

„Was mich interessiert, ist das Gucken im dunklen Raum – aber nicht das Hineingezogenwerden in einen Film. Ich kann keine Form von Suspense, von Filmen, die mich führen oder verführen, ertragen. Am liebsten habe ich es, wenn zwischen mir und dem was auf der Leinwand passiert, eine wache Kommunikation stattfindet, ein Dialog, den ich nur bei sehr wenigen Spielfilmen finden kann. Auch Dokumentarfilme sind in der Regel informativ oder aufklärerisch, womit der Impetus schon vorgegeben ist“, so in einem Interview für die Zeitschrift Kinema Kommunal (1_2016).

Auf den Kurzfilmtagen in Oberhausen gewinnt sie mit diesem, ihrem ersten 7-Minüter, den Experimentalfilmpreis, der seinerzeit sicher eine wichtige Bestätigung bedeutete, sich bewusst von den Trends der damaligen Zeit abzusetzen, als die (männlichen) Vertreter des neuen deutschen Films wie Wenders, Fassbinder und Herzog den Begriff des Autorenfilms besetzten. Ihre Inspirationen fand sie anderswo: REMINISCENCES FROM A JOURNEY TO LITHUANIA von Jonas Mekas sowie in den Filmen von Elfie Mikesch, Ulrike Ottinger und Maya Deren.

Es ist natürlich kein Zufall, dass ihr Interesse vor allem Schmalfilmen gilt, Super8 und 16mm. Um der Spur des Lichts zu folgen, braucht es die Körnigkeit des analogen Materials und die Verschlusstechnik. Die Überbelichtung und der Effekt, der entsteht, wenn die Kamera den Wechsel von Licht-Schatten-Verhältnissen nur träge ausgleicht, das sind Stilmittel, die Ute Aurand mit ihrer Bolex zulässt, einsetzt und geradezu herausfordert. Die Sequenzen sind kurz geschnitten, Wimpernschlägen gleich. In ihren frühen Filmen galt gar das Dogma des Schnitts in der Kamera – also weder eine nachträgliche Montage noch eine Nachbearbeitung. Gemeint ist kein Konzept der Selbstbeschneidung, sondern die Disziplin, die richtige Cadrage und den fälligen Moment bewusst zu entscheiden. Das Misslingen ist Teil des Prozesses, ein Misslingen gibt es nicht, weil jeder Augenblick für sich steht und Gültigkeit beanspruchen darf. Wenn man bedenkt, wie sehr sich das Filmemachen im digitalen Zeitalter verändert hat, wo „das machen wir alles in der Post…“ zum geflügelten Satz geworden ist, der Kameramann oder die Kamerafrau nur noch zum Material-Lieferanten degradiert sind, steckt schon allein in Ute Aurands Kniefall vor der Authentizität des Augenblicks ein ästhetisches Politikum.

„Es ist der Grad der Abstraktion, den ich im Film suche, wo die Dinge ebenso wie die Natur und das Licht auch ‚lebendige’ Elemente sind, die eine eigene Sprache haben. In meiner Generation dominierten Filme, die den Faschismus anklagten und schon deshalb als unkonventionell und ungewöhnlich gefeiert wurden. Die anderen Filme wurden sehr schnell als formalistisch abgetan, sie seien dekadent und handelten nur vom Ich.“ (KK 1_2016)

Das Bestehen auf 16mm als Ausgangsmaterial sichert ihr eine weitgehende Autonomie in der Produktion, aber im Abspiel sind mittlerweile besondere Maßnahmen von Nöten. Seitdem die meisten Kinos auf digitale Abspieltechnik umgestiegen sind, ist es unumgänglich geworden, einen eigenen Projektor á la Wanderkino parat zu haben. Jederzeit und überall kann sie vorführen – auch das ein Gegenentwurf zum ‚allgegenwärtigen Content’ in den einschlägigen Netz-Portalen. Gleichwohl zeichnen sich hier Grenzen ab: Wie lange noch wird 16mm-Material überhaupt hergestellt? Wie lange noch bestehen Kopierwerke? Selbst ambitionierte Filmfestivals entkoppeln sich zunehmend von diesem Format, weil sie auf die veränderten Kinostrukturen angewiesen sind.

Die gute alte Bolex ist Ute Aurands drittes Auge. Sie begleitet sie im Alltag wie auf Reisen, ob auf dem Roten Platz in Moskau wie in OH! DIE VIER JAHRESZEITEN (zusammen mit Ulrike Pfeiffer 1988), wo sie der russischen Folklore und den Marschregimentern eine Art Pas de deux und ausgelassene Umdrehungen entgegensetzt. Oder INDIA (2005), worüber die Kuratorin Susan Oxtoby (TIFF 2005) schreibt:

„Lyrisch und skizzenhaft spiegeln Aurands reichhaltige Eindrücke die Vitalität des Lebens, dem sie begegnet ist – Straßenszenen, Performances traditioneller Tänzer, Porträts von Menschen, die sie getroffen hat. Stakkatohaft blitzen ihre energiegeladenen Bilder auf, und fügen der Handkamera eine rhythmische Dimension hinzu.“

Es sind aber eben nicht nur die Exotismen, die ihr Lust auf den Auslöser machen. Mit der gleichen Neugierde widmet sie sich dem Banalen, dem Gewohnten, der Natur, den Kindern und Alten. Der all den Bildern eingeschriebene gemeinsame Gedanke ist der des Glücks. Heutzutage traut man sich ja kaum noch dieses Wort unkritisch zu benutzen. Zu verbraucht ist es durch Werbung, zu sehr schwingt der Verdacht des Egoismus’ mit, zu kitschig klingt es, als dass es Kunst sein könnte. Aber bei Ute Aurand gewinnt das Glück seine Naivität und Ursprünglichkeit zurück. Eine Ode an die Freude eben, eine Aufmerksamkeit für das, was wir haben und sind, ein Plädoyer für den Müßiggang! Es sind viele Miniaturen, die sie zu diesem Thema versammelt. So in dem 2,5 Minuten langen Film ZU HAUSE aus dem Jahr 1998, in dem sie ein paar Momente des Alltags als Schattenspiel aufführt, die allein dadurch etwas Verzaubertes bekommen (darf man hier eine Reminiszenz an Lotte Reiniger vermuten?) Oder in HALBMOND FÜR MARGARET (2004): stumme Betrachtungen der Vögel, des Mondes, der Lichtreflexe und spielender Kinder, Tagebuchnotizen gleich – nicht mehr und nicht weniger – und doch auch eine Verbeugung vor Margaret Tait, der Poetin aus Schottland und der Grand Dame des Experimentalfilm, deren Werk sie bewundert und wo immer es geht, zeigt.

Die Bolex ist für Ute Aurand sogar noch mehr, eine Mission: An der DFFB gibt sie seit einigen Jahren Workshops für Studenten. Es entstehen kleine, feine Arbeiten – aber sie spürt auch, dass die allermeisten hierin nur eine Zwischenstation sehen, um dann zum ‚richtigen‘ Film weiterzueilen.

Ja, stimmt, eine ordentliche Existenz lässt sich so nicht leicht bewerkstelligen. Aber Hartnäckigkeit wird auch belohnt.

Ute Aurand macht seit über 30 Jahren Filme, die in ihrer Addition ein Gewebe ergeben,

„eine Sammlung kurzer Momente (m)eines Lebens, die entsprechend ihrer verschiedenen Stimmungen verschieden klingen – kleine Terz, große Terz, Mama singt auf Hiddensee, schweigend ins Gespräch vertieft, Salut Corinne. Die unterschiedlichen Fäden verweben sich zu einem einzigen Muster ohne Anfang und Ende.“ (in Ulrike Pfeiffer, Bärbel Freund, Ute Aurand – Filme).

Sie hat Verbündete, ein ganzes Netzwerk von Kombattantinnen und FreundInnen, die immer wieder mal zusammen finden, arbeiten und zunehmend dazu übergegangen sind, sich ihr ‘eigenes Kino‘ zu schaffen, indem sie mit jenen Filmen, die ihre Bild-Botschaften in sich tragen, durch Galerien, Spaces und Kinos wandern. Das Nomadenhafte trifft hierbei auf eine besondere Intimität, die diese Filme und Veranstaltungen ausstrahlen. Wollte man für sie einen gemeinsamen Nenner suchen, so finden sie am ehesten ihr Äquivalent in der Lyrik: Prägnant, assoziativ und reich, verspielt und gleichzeitig ganz im Sinne von Jonas Mekas von der „Improvisation als der höchsten Form der Konzentration“ geleitet.

 

 

www.uteaurand.de