Rückblick auf die Kurzfilmpreisträger 2010 – eine kleine Auswertung

Analyse

Ausgehend von dem Eindruck, dass weltweit eine Hand voll Kurzfilme die meisten Preise und Auszeichnungen erhält, veröffentlichen wir an dieser Stelle jedes Jahr einen Rückblick auf die Preisträger des Vorjahres. Durch eine Auswertung der in unserer Rubrik „Auszeichnungen“ registrierten Preisträger ist es möglich diesen subjektiven Eindruck durch objektive Zahlen zu quantifizieren. Dies wiederholen wir nun in einem Rückblick auf das Jahr 2010.

Durch die Auswertung entsteht zwangsläufig auch eine Art Film-Hitparade. Ein solches Ranking kann selbstverständlich nicht zur Beurteilung der künstlerischen Qualität von Filmen herangezogen werden, gibt aber Auskunft über ihre Beliebtheit gemessen an Voten von Fachjurys und in Publikumsabstimmungen.

Auch werden Trends in der Bevorzugung bestimmter Filmgattungen oder Themen sichtbar. Weiterhin gibt die Auswertung Aufschluss über die Verteilung der Preise bezüglich der Herstellungsländer der Filme und lassen sich indirekt Entwicklungen in der Förderung des Kurzfilms ablesen.
 

Die Untersuchungsbasis

Ausgewertet wurden alle Auszeichnungen und Preise, die auf shortfilm.de in der Rubrik „Auszeichnungen“ im Jahr 2010 veröffentlicht wurden. Dies waren im vergangenen Jahr etwas mehr als 1.000 Nennungen. Berücksichtigt wurden selbstverständlich nicht alle Preise und Auszeichnungen, die weltweit irgendwo Kurzfilmen verliehen werden.

Regelmäßig registriert werden in unserer Rubrik „Auszeichnungen“ nur die größeren Kurzfilmfestivals mit internationalen Wettbewerben. Ausschließlich nationale oder regionale Wettbewerbe bleiben unberücksichtigt. Nationale Filmpreise, wie in Deutschland der Deutsche Kurzfilmpreis und in Spanien die Goyas, werden jedoch erfasst.

In der Regel werden nur die Hauptpreise registriert. Nur bei wenigen, großen Festivals werden auch lobende Erwähnungen genannt. Auch werden, mit Ausnahme bedeutender internationaler Spielfilmfestivals mit Kurzfilmwettbewerb wie Cannes, Berlin oder Sundance, nur Auszeichnungen auf Kurzfilmfestivals berücksichtigt.

Insgesamt liegen für 2010 Jury-Entscheidungen von etwa 200 Festivals und Wettbewerben vor –  22 davon am Standort Deutschland. Wegen unseres eigenen geografischen Standorts sind europäische Auszeichnungen leicht überrepräsentiert. Jedoch sind ansonsten alle Kontinente und Weltregionen berücksichtigt.
 

Starke Produktionsländer

Die Zahl der Herkunftsländer der Preisträger beträgt immerhin mehr als 70. Die mit deutlichem Abstand größte Zahl an Auszeichnungen im Jahr 2010 entfiel auf Filme aus den Ländern Deutschland (137), Frankreich (118 Preise), USA (78), Großbritannien (72) und Spanien (60). Im Vergleich zum Vorjahr änderten sich die Zahlen nur geringfügig. Deutschland und Frankreich tauschten den Platz an der Spitze und lediglich Filme aus USA und Großbritannien erhielten weniger Preise als zuvor. Von den etwas mehr als 1.000 registrierten Auszeichnungen entfiel fast die Hälfte auf Filme aus diesen Ländern, die allerdings auch weltweit das größte Produktionsvolumen an Kurzfilmen vorweisen können.

Unter den kleineren Ländern – bezüglich ihrer Einwohnerzahlen oder ihrer Kurzfilmproduktion – waren 2010 insbesondere Polen und Schweden (35 bzw. 32 Preise) stark vertreten. Auch gab es wieder Länder, deren Statistik sich nur aufgrund einzelner, sehr erfolgreicher Filme verbesserte – wie in den Jahren zuvor Rumänien und Island. Dieses Jahr war es erneut Italien, das wegen der Erfolge der Filme von blu (MUTO und BIG BANG BIG BOOM), aber auch HABIBI (Davide del Degan) und RITA (Antonio Piazza & Fabio Grassadonia) in der Länderstatistik nach oben rutschte.

Die Herkunftszahlen der Preisträger reflektieren nicht nur das Produktionsvolumen an Kurzfilmen, sondern hängen natürlich auch von der Zahl der Festivals im betreffenden Land ab. Insofern einheimische Filme größere Chancen auf Auszeichnungen im eigenen Land haben, hängt das Ranking der preisgekrönten Filme nach Herkunft von der Festivaldichte in den jeweiligen Ländern ab.

Interessant sind deshalb auch die Zahlen über den Auslandserfolg von Kurzfilmen. Hier ergibt sich dann folgendes Bild: am Erfolgreichsten im Ausland waren 2010 Filme aus Deutschland (66 Auszeichnungen), Frankreich (63) und Großbritannien (56), also die gleichen Länder wie 2009, jedoch in anderer Reihenfolge. Deutschland und Großbritannien haben die Plätze getauscht! Britische Filme sind nach wie vor international beliebt – national gibt es im Vergleich zu den anderen Ländern nur wenige Kurzfilmfestivals – doch sinken sowohl die Produktionszahlen wie auch die Festivalerfolge. Dies ist vermutlich die Folge film- und kulturpolitischer Veränderungen vor Ort.

Unter den Ländern, die keine ausgeprägte Kurzfilmfestivalstruktur haben, fallen im Übrigen Rumänien und Ungarn mit überproportionalen Erfolgen im Ausland auf. Das Jahr zuvor waren es Rumänien, Island und Israel. Im Fall von Rumänien beruht der Erfolg erneut auf wenigen Filmen; im Grunde nur auf zwei Filmen, nämlich COLIVIA (The Cage) von Adrian Sitaru und MUZICA IN SANGE von Alexandru Mavrodineanu. Ähnlich verhalf der Erfolg des Animationsfilms DIVERS IN THE RAIN von Olga und Priit Pärn letztes Jahr Estland einen oberen Rang unter den erfolgreichen Produktionsländern.
 

Inland- vs. Auslandserfolge

Ein Erfolg im eigenen Land bedeutet nicht notwendigerweise, dass ein Film auch im Ausland Erfolg hat. Dies hängt nicht nur von der Zahl der Kurzfilmfestivals in den jeweiligen Ländern ab. Es könnte auch sein, dass in manchen Ländern die Jurys nicht international besetzt sind und Filme aus dem eigenen Land bei der Preisvergabe bevorzugen. Letzteres gilt auf jeden Fall für Publikumspreise.

Wie bereits in den Jahren zuvor erhielten 2010 Filme aus Brasilien und den USA im eigenen Land deutlich mehr Preise als im Ausland.
Umgekehrt waren Filme aus Großbritannien, Schweden, Australien und Österreich im Ausland erfolgreicher als im Inland. Diesbezüglich aufgeholt hat Spanien, dessen Kurzfilme inzwischen mehr Preise im Ausland als im Inland erhielten, was bisher nie der Fall war.

Unter den größeren Produktionsländern war das Verhältnis von Inland- zu Auslandserfolgen vor allem für Filme aus Deutschland und Frankreich ausgeglichen. Dies, obwohl es in beiden Ländern eine hohe Festivaldichte gibt und dort weltweit die meisten Auszeichnungen für Kurzfilme verliehen werden.
 

Die beliebtesten Produktionsländer in Deutschland

In Deutschland waren im Jahr 2010 am Erfolgreichsten Filme aus Großbritannien (12 Preise / 2009: 11), Frankreich (9 / 9) gefolgt von Filmen aus Österreich und den USA. Diesbezüglich wird ein langfristiger Trend bestätigt.
 

Internationalität von Jury-Entscheidungen

Von den Ländern, in denen mit großem Abstand die meisten Kurzfilmpreise verliehen werden, gab es bezüglich der Internationalität kaum Unterschiede. Sowohl in Deutschland, Frankreich, Spanien und den USA wurden jeweils circa 100 Preise auf Filme aus mehr als 25 Herkunftsländer „šverteilt‘. Die breiteste Auslandsbeteiligung konnten Frankreich und Deutschland verzeichnen. Auch in anderen Ländern schreitet diese Internationalisierung fort.
 

Die international erfolgreichsten Filme des Jahres

Zunächst ist auffällig, daß die erfolgreichsten Filme allesamt Animationsfilme sind.
Der norwegische Animationsfilm SINNA MANN (Angry Man) von Anita Killi erhielt 13 Auszeichnungen der im Jahr 2010 auf shortfilm.de registrierten Preise. Darüberhinaus erhielt der Film noch fast 30 weitere Auszeichnungen, die wir nicht registriert haben.

  • SINNA MANN handelt von familiärer Gewalt. Eine Junge leidet unter dem gewalttätigen Vater und insbesondere darunter, Zeuge sein zu müssen, wie er seine Mutter schlägt. Der Film entstand im Animationsstudio der Autorin Anita Killi auf einem abgelegenen Hof in den Bergen (URL: Trollfilm <http://www.trollfilm.no>). Inzwischen hat sie sich Zentropa angeschlossen und bereitet einen abendfüllenden Animationsfilm vor.
  • Zwölf Festivalauszeichnungen und den Animationsfilm-Oscar 2010 erhielt LOGORAMA von Franí§ois Alaux & Hervé de Crecy & Ludovic Houplain. Die Figuren und Grafiken des Animationsfilms über eine Verfolgungsjagd, die in einer globalen Katastrophe endet, bestehen aus Reklamemaskottchen, Firmenlogos und Markennamen. Der Film wurde in sechs Jahren Arbeit von dem französischen Werbefilmstudio H5 hergestellt.
  • An dritter Stelle stehen TUSSILAGO und TUUKRID VIHMAS (Divers in the Rain). TUSSILAGO ist ein dokumentarisch-narrativer Animationsfilm von Jonas Odell, dessen Filme LÖGNER (2008) und ALDRI SOM FÖRSTA Gí…NGEN (2006) bereits sehr erfolgreich waren. Wie in früheren Filmen kombiniert Odell die Rotoskop-Technik mit grafisch bearbeiteten inszenierten Realaufnahmen. Auch dieses Mal erzählt sein Film eine Biografie: die Geschichte der Freundin eines deutschen Terroristen. Produziert wurde TUSSILAGO von Filmtecknarna Stockholm, einem Werbe- und Kurzfilmstudio, das von Jonas Odell mitbegründet wurde. Der 2010 fertiggestellte Film wurde kürzlich auch für den wichtigsten schwedischen Filmpreis 2011, dem Guldbagge, nominiert.
  • DIVERS IN THE RAIN ist die Zusammenarbeit des estnischen Animationsfilm-Altmeisters Priit Pärn mit seiner Frau Olga, einer Künstlerin und Grafikerin mit Filmerfahrungen bei Belarusfilm. Der Film erzählt melancholisch von der Liebe zwischen einem Taucher und einer Zahnärztin, die sich immer nur zu Abschiedküssen treffen, weil sie zu unterschiedlichen Tageszeiten arbeiten. DIVERS IN THE RAIN wurde von Tallinn Joonisfilm produziert, einer Ausgründung der ehemaligen Tallinfilm, der Pärn seit den siebziger Jahren angehörte.

Den nächsten Platz teilen sich gleich mehrere Filme mit gleich vielen Auszeichnungen: ¿DONDE ESTA KIM BASINGER? von Edouard Deluc (F), DER KLEINE UND DAS BIEST von Johannes Weiland & Uwe Heidschötter (D), ICH BIN’S HELMUT von Nicolas Steiner (D), RITA von Antonio Piazza & Fabio Grassadonia (I), THE SIX DOLLAR FIFTY MAN von Mark Albiston & Louis Sutherland (NZ) und THE EXTERNAL WORLD von David O’Reilly (D).

Der neue Film von David O’Reilly ist noch relativ jung und wird sicherlich auch in 2011 noch auf vielen Festivals zu sehen sein. Sein früherer Animationsfilm PLEASE SAY SOMETHING war 2009 unter den am meisten ausgezeichneten Filmen und erhielt in 2010 weitere Preise.

Auch andere Filme, die 2009 viele Preise erhielten, waren 2010 noch erfolgreich „unterwegs“, wie unter anderem MUTO von blu, dessen neuer Film BIG BANG BIG BOOM gerade eine Festivalkarriere beginnt und WAGAH von Supriyo Sen & Najaf Bilgrami, der seinen Erfolg fortsetzte.

Der erfolgreichste Film des Jahres 2009, SKHIZEIN von Jérémy Clapin, erhielt 2010 keine großen Festivalpreise mehr. An diesem Beispiel zeigt sich, daß die „Verfallszeit“ für Festivalteilnahmen und Auszeichnungen sehr kurz ist und maximal zwei Jahre beträgt.

Wie schon in früheren Jahren spielten Oscar-Nominierungen und -Preisträger unter den bei uns registrierten Auszeichnungen und Festivalpreisen keine große Rolle. Mit der Ausnahme von LOGORAMA (Gewinner in der Kategorie Short Film Animated) erhielt lediglich eine der Nominierungen, RABBIT À LA BERLIN, 2010 auch einen Festivalpreis.
 

Deutsche Filme

Letzes Jahr war WAGAH mit sehr großem Abstand vor allen anderen die erfolgreichste deutsche Produktion. In 2010 ist das Feld jedoch breiter gestreut. Gleich drei Filme teilen sich den ersten Platz: DER KLEINE UND DAS BIEST von Johannes Weiland & Uwe Heidschötter, ICH BIN’S HELMUT von Nicolas Steiner und BIG BANG GIB BOOM von David O’Reilly. Von diesen Filmen war innerhalb Deutschlands ICH BIN’S HELMUT am erfolgreichsten.

An nächster Stelle folgen A LOST AND FOUND BOX OF HUMAN SENSATIONS von Martin Wallner & Stefan Leuchtenberg, APOLLO von Felix Gönnert, HOLDING STILL von Florian Riegel, LOVE & THEFT von Andreas Hykade und MOBILE von Angela Fels.

Bis auf 8 Filme mit je zwei Preisen, erhielten alle übrigen knapp 80 (!) deutschen Filme, die 2010 einen auf shortfilm.de registrierten Preise gewonnen haben, jeweils nur 1 Auszeichnung.
 

Publikumspreise

Wie schon zuvor stimmen die Publikumspreise wieder stark mit den Voten der Fachjurys überein. Die meisten Publikumspreise erhielten 2010 die Animationsfilme SINNA MANN und LOGORAMA.

Einen wesentlichen Unterschied zwischen den Voten des Publikums und der Fachjurys gibt es auch dieses Mal bezüglich der Bandbreite der ausgezeichneten Filme – diese ist bei den Fachjurys wesentlich größer, während das Publikum eine deutlich geringere Zahl an Filmen mit positiven Bewertungen bedacht hat.
 

Auch 2010 dünne Luft an der Spitze: Akkumulation von Preisen

Bereits im Rückblick auf das Jahr 2008 stellten wir fest, dass sich die Verteilungspyramide der Preise an die Filme an der Spitze stark verjüngt. Nur etwa 50 von 800 preisgekrönten Filmen erhielten international jeweils mehr als zwei Preise. Und zu der kleinen „Spitzengruppe“, die sich weltweit absetzte, gehörten nur 18 Filme. Im Jahr 2009 waren es nur 15 Filme, die mehr als 4 Auszeichnungen akkumulieren konnten. Das waren 12% aller Auszeichnungen insgesamt, die diese kleine Gruppe an Filmen auf sich versammelt.

In 2010 erhielten mehr als 800 Filme jeweils nur einen der insgesamt mehr 1.000 Preise. Nur 54 Titel von den etwa 870 verschiedenen 2010 preisgekrönten Filmen erhielten mehr als zwei Preise. Diese 54 Filme akkumulierten fast ein Viertel aller Auszeichnungen, die im Jahr 2010 vergeben wurden.
 

Konsens-Festivals und Trendsetter

Betrachtet man die 15 erfolgreichsten Filme und untersucht die gemeinsame Schnittmenge von Festivals, auf denen sie ausgezeichnet wurden, so ließ sich noch 2009 feststellen, dass auf einer relativ kleinen Gruppe von Festivals viele dieser 15 Preisträger zugleich eine Auszeichnung erhielten. Dies war 2010 nicht so deutlich. Lediglich beim Festival in Hiroshima wurden mehrere (4) Filme ausgezeichnet, die zur Spitzengruppe der Preisträger gehörten. Auf sehr vielen Festivals gehörten aber mindestens zwei Preise zur gemeinsamen Schnittmenge der am häufigsten ausgezeichneten Filme: Alcala de Henares, Anima Brüssel, Clermont-Ferrand, Fantoche Baden, Hamburg, Leipzig, Odense, Ottawa und Sapporo.

Die oben genannten vier Filme, die die meisten Preise akkumulierten, wurden auf Festivals in Aspen, Clermont-Ferrand, Brüssel (Anima Festival) und San Francisco „gestartet“.
 

Kurzfilmpreise auf Spielfilmfestivals

Im vergangenen Jahr hatten wir noch Veränderungen bei Jury-Preisen der (Nicht-Kurzfilm-) Festivals in Cannes und Berlin festgestellt, die sich zunehmend zu Trendsettern auch im Kurzfilmsektor entwickelten. Dieses Jahr waren die Premieren-Filme, die in Cannes ausgezeichnet wurden, jedoch nicht mehr auf renommierten Kurzfilmfestivals prämiert worden. Und von den Berlinale Bären war lediglich ein Film anschließend noch andernorts erfolgreich (HÄNDELSE VID BANK von Ruben Östlund). Ähnliches läßt sich beim Filmfestival Rotterdam feststellen. Konsensfähig war hingegen der Kurzfilm-Jury-Prize in Sundance: THE SIX DOLLAR FIFTY MAN erhielt auf internationalen Kurzfilmfestivals mehr als sechs Auszeichnungen. Ein erstaunliches Ergebnis lieferte dieses Jahr die Mostra in Venedig, wo die Jury THE EXTERNAL WORLD von David O’Reilly und COMING ATTRACTIONS von Peter Tscherkassy zu den Preisträgern kürte. Letzteres einer der wenigen Experimentalfilme, die 2010 international ausgezeichnet wurden.

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