Rückblick auf die Kurzfilmpreisträger 2007 – eine kleine Auswertung

Wer die Filmfestivalszene beobachtet und die Entscheidungen von Jurys wahrnimmt, dem ist bestimmt schon durch den Kopf gegangen: es gewinnen überall und viel zu oft dieselben Filme!

Stimmt das wirklich? Auf der Basis einer Auswertung der in unserer Rubrik „Auszeichnungen“ im letzten Kalenderjahr registrierten Preisträger wird im Folgenden dieser Frage nachgegangen.

Dabei kommt natürlich auch zu Tage, welche Filme die meisten Preise gewonnen haben. Dies soll jedoch keine Hitparade sein, zumal in dieses Zeitfenster Produktionen aus dem Jahr 2005 hineinragen, die bereits 2006 Preise erhalten haben und andererseits neue Filme am Start sind, die erst im Jahr 2008 ihren Festival-Parcours absolvieren werden.

Interessant sind auch die Zahlen über die Verteilung der Preise bezüglich der Produktionsländer der Filme.

Zwangsläufig stellt sich am Ende die Frage: wie kommt es überhaupt zur Akkumulierung von Preisen?

 

Die Untersuchungsbasis

Ausgewertet wurden alle Auszeichnungen und Preise, die auf shortfilm.de in der Rubrik „Auszeichnungen“ im Jahr 2007 genannt wurden. Da es schier unmöglich ist alle weltweit vergebenen Kurzfilmpreise zu recherchieren, werden in dieser Rubrik nur die Resultate der größeren Kurzfilmfestivals und die Auszeichnungen der wichtigsten internationalen Wettbewerbe notiert. Geografisch gibt es, wegen unseres Standorts, allerdings eine überproportionale Berücksichtigung europäischer und deutscher Kurzfilmfestivals. Allerdings werden keinesfalls alle deutschen Festivals erfasst, sondern vor allem Festivals, die auch einen internationalen Wettbewerb haben.

Insgesamt wurden im Jahr 2007 auf shortfilm.de 900 Jury-Entscheidungen und Preisträger publiziert. Meistens nur die Hauptpreise und in der Regel nur bei wenigen, großen Festivals auch die lobenden Erwähnungen. In der Regel wurden mit Ausnahme bedeutender internationaler Spielfilmfestivals mit Kurzfilmwettbewerb – wie Cannes, Berlin oder Sundance – nur Kurzfilmfestivals berücksichtigt. Insgesamt liegen für 2007 die Resultate von etwa 160 verschiedenen Festivals bzw. Wettbewerben vor – zwanzig davon mit Sitz in Deutschland. Die Zahl der Herkunftsländer der Preisträger beträgt immerhin knapp 70.

 

Bevorzugte Produktionsländer

Bei der Verteilung der Herkunft der Preisträger in 2007 fällt auf, dass eine kleine Gruppe von Ländern gut ein Drittel aller Auszeichnungen auf sich vereinen. Dies sind Großbritannien, die USA, Frankreich und Spanien mit jeweils etwa gleich vielen Preisträgern (ca. 80 pro Land). Deutschland wurde bei dieser Berechnung ausgelassen. Die Konzentration auf relativ wenige Länder ist insofern nicht überraschend, als diese Verteilung nach Herkunftsländern mit dem Produktionsvolumen der betreffenden Länder korreliert.

Der Spitzengruppe folgt – mit deutlichem Abstand – Kanada (36). Danach, mit einem weiteren Abstand, wieder eine Ländergruppe, aus denen etwa gleich viele Preisträger kommen. Dies sind die Produktionsländer Schweden, Belgien, Russland, Brasilien, Australien und Polen mit jeweils ca. 20 Preisträgern.

Gut, insbesondere unter Berücksichtung der Größe beziehungsweise Einwohnerzahlen, schneiden auch Norwegen und Rumänien ab. Letzteres ist aber ein einmaliger Sonderfall (siehe weiter unten).

Die Herkunftszahlen der Preisträger reflektieren sicherlich nicht nur das Produktionsvolumen an Kurzfilmen, sondern hängen auch von der Zahl der Festivals im betreffenden Land ab. In Ländern mit einer hohen Festivaldichte haben natürlich außerdem die einheimischen Filme größere Chancen auf einen Preis, was zu statistischen Verzerrungen führt.

Interessanter sind deshalb Zahlen über den Auslandserfolg von Kurzfilmen. Hier ergibt sich dann folgendes Bild: am Erfolgreichsten im Ausland sind Filme aus Großbritannien (66), Deutschland (57) und Frankreich (43) gewesen.

Innerhalb dieser Spitzengruppe sind wiederum Filme aus Großbritannien und Frankreich im Ausland erfolgreicher als zuhause. Bei den deutschen Filmen ist das Verhältnis der Inlands- zu den Auslandserfolgen ausgeglichen. Unter den Ländern, die keine Kurzfilmfestivalstruktur haben, fallen insbesondere Russland und Israel mit überproportionalen Erfolgen im Ausland auf.

Umgekehrt sind amerikanische, australische und spanische Filme in ihrem eigenen Land deutlich erfolgreicher als im Ausland. Ein möglicher Grund: In diesen Ländern sind die Jurys seltener international besetzt sind, als in anderen Ländern.

 

Beliebte Produktionsländer in Deutschland

Im Jahr 2007 verzeichneten wir auf deutschen Festivals Preisträger aus 32 verschiedenen Ländern. Bei den Jurys am erfolgreichsten waren Filme aus Großbritannien und Frankreich, was dem internationalen Trend entspricht. Abweichend vom internationalen Trend waren auf deutschen Kurzfilmfestivals aber auch Filme aus den USA überproportional erfolgreich. Mit Ausnahme von Russland, Libanon und Indien, waren die restlichen, also die meisten Länder, allerdings jeweils nur mit 1 oder 2 Preisträgern vertreten.

Auffällig ist, dass in Deutschland auch Filme aus Ländern Preise erhielten, die anderswo kaum oder überhaupt nicht vertreten sind. Das waren 2007 unter anderem China, Estland, Indien, Libanon und Vietnam. Die geografische Vielfalt ist allerdings in vielen dieser Einzelfälle das Verdienst eines einzigen Festivals, nämlich der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen!

 

… und in anderen Ländern

Unter den anderen Ländern mit einer relativen hohen Dichte an Kurzfilmfestivals schneidet Frankreich mit der größten Bandbreite an Herkunftsländern ab: Preisträger aus 32 verschiedenen Ländern wurden dort verzeichnet, also ebenso viele wie in Deutschland. In Spanien waren es immerhin 23 und in den USA nur 12 verschiedene Herkunftsländer.

 

Die international erfolgreichsten Filme des Festivaljahrs 2007

Zunächst ist es vielleicht angebracht nochmals den eingangs erw«hnten Vorbehalt zu wiederholen: in der Rubrik „Auszeichnungen“ auf shortfilm.de werden nicht alle Festivals und nicht alle Preise eines Festivals erfasst. Die folgenden Zahlen reflektieren aber zumindest einen gültigen Trend.

Ein bekanntes, spezielles Phänomen, das durch unsere Daten nicht ausreichend belegt werden kann, ist die Akkumulation von Publikumspreisen durch einzelne, oft lokale Filme. Publikumspreise werden überwiegend auf kleineren Festivals und festivalähnlichen Veranstaltungen vergeben, die wir  nicht registriert haben.

Wie auch immer: der mit Abstand erfolgreichste Film des Festivaljahrs 2007 war eindeutig LAMPA CU CACIULA (The Tube with a Hat) von Radu Jude aus Rumänien. Dieser Außenseiter, was das Herkunftsland angeht, hat nicht nur sehr viele Auszeichnungen erhalten (nach unserer Zählung 15), sondern darunter sehr viele Hauptpreise (Grand Prix). Bemerkenswert ist, dass dieser Film überwiegend Preise auf ausgewiesenen, traditionsreichen Kurzfilmfestivals erhielt. Dazu gehören zum Beispiel die Festivals in Huesca, Krakau, Bristol und Alcala de Henares. Auch beim Golden Gate Award in San Francisco war der Film erfolgreich. Auffallend ist weiterhin, dass LAMPA nicht nur in einem Kulturkreis, sondern in sehr vielen verschiedenen Ländern erfolgreich war, wie zum Beispiel in: Norwegen, Südkorea, Kosova, Deutschland, Portugal, Tschechien und Belgien.

Welche Qualitäten des Films führten zu diesem großen Erfolg? Was hat die Jurys überzeugt? Stellvertretend sei hier die Begründung für den Grand Prix Grimstad beim Norwegischen Kurzfilmfestival genannt: „Ein traditionelles „road movie“, das gut zum Kurzfilmformat passt. Es ist eine zeitgemäße Beschreibung einer armen rumänischen Familie und ihrem alltäglichen Kampf. Die Stärken des Films sind die melancholische Stimmung und die kleinen persönlichen Dramen, die sich abspielen. Dies weckt in uns die Ahnung, dass etwas Tragisches geschehen wird, jedoch wird am Schluss alles gut!“

 

Vater + Sohn

An zweiter Stelle, mit 11 wichtigen Auszeichnungen, lag 2007 der britische Film SOFT von Simon Ellis. In dem klassischen Kurzspielfilm geht es um eine Vater-Sohn-Beziehung und deren Verhalten zwischen Wut, Vernunft, Feigheit und Mut angesichts einer gewalttätigen Bedrohung durch eine jugendliche Straßenbande. Beim Palm Springs Festival wurde SOFT wie folgt gelobt: „A frighteningly realistic take on violence that deftly blends emotional complexity with a keen understanding of the darker side of youth culture.“ Die Jury bei interfilm (Berlin) urteilte wie folgt: „SOFT legt mit direkter Härte ein soziales Dilemma höchster Aktualität offen. Simon Ellis verwandelt dies in einen zeitlosen Vater-Sohn Konflikt, ohne Partei zu ergreifen oder eine zu einfache Antwort zu liefern.“
Ausschlaggebend für die große Beachtung, die diesem Film insbesondere in Westeuropa und Nordamerika entgegengebracht wurde, ist sicherlich die Auseinandersetzung mit dem Thema jugendlicher Gewalt.

Die Festival-Lorbeeren, die SOFT bislang einheimsen konnte, sind eindrucksvoll auf der Website des Films ausgestellt. An der dort außerdem veröffentlichten, schier unendlichen Liste der Festivalteilnahmen zeigt sich nebenbei auch, dass Festivalpreise nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Die Erfolgsgeschichte von SOFT geht sicherlich 2008 weiter. Gleich im Januar erhielt er auch noch den Kurzfilmpreis des Sundance Festivals…

ps. Beziehungen zwischen Vätern und Söhnen waren 2007 ein bevorzugtes Thema. Auch in LAMPA geht es um Vater und Sohn. Weiteres Beispiel: DAD von Daniel Mulloy …

 

Humor + Looser = Erfolg

TANGHI ARGENTINI von Guido Thys (B) ist ein Spielfilm über einen Büroangestellten, der sich als Looser-Typ auf ein Blind-Date vorbereitet, indem er mit einem Kollegen Tango übt. Der Film steht in unserer Preisträgerrubrik an dritter Stelle. Insgesamt hat der Film (Produktionsjahr 2006) im Verlauf seiner Festivalkarriere schon fast 30 Preise gewonnen. Aktueller Höhepunkt ist die Nominierung für den diesjährigen Academy Award in der Kategorie Short Fiction. Maßgeblich beteiligt an dem Erfolg ist sicherlich die Produktion und namentlich die Produzentin Anja Daelemans, deren GRIDLOCK (FAIT D’HIVER) bereits 2003 für einen Oscar nominiert war und zuvor ähnliche Erfolge wie TANGHI ARGENTINI feiern konnte. Beide Filme basieren dramaturgisch darauf, dass sich der Zuschauer über die Hauptfiguren lustig machen darf ohne dass sie ganz der Lächerlichkeit preisgegeben werden. In einer Kritik zu TANGHI ARGENTINI wird das Erfolgsrezept wie folgt kurz und knapp beschrieben: „Initially portraying a straightforward, crunchy shell of good humor, the film eventually reveals its sweet, gooey center“ (CMFH Film Reviews).

 

Politically correct

Zwei der erfolgreichsten deutschen Produktionen waren FAIR TRADE von Michael Dreher und MILAN von Michaela Kezele, die Beide von der Hochschule für Film und Fernsehen München kommen. MILAN erzählt die Geschichte zweier Brüder in Jugoslawien. Beim Spielen im Wald trifft der kleine Milan einen notgelandeten amerikanischen Piloten, während sein Bruder zur gleichen Zeit in einem Belgrader Krankenhaus ums überleben kämpft. Zentral ist der versöhnlich-humanistische Ton des Films der immerhin erst acht Jahre nach dem NATO-Bombardement, das den Hintergrund der Geschichte bildet, in Serbien gedreht wurde.

Wenig versöhnlich, aber ebenso westeuropäisch-humanistisch erzählt Dreher in FAIR TRADE von dem florierenden Babyhandel zwischen Nordafrika und Europa, wobei die Naivität der deutschen Käuferin dem zynischen Kalkül der skrupellosen Menschenhändler in Marokko als moralische Frage entgegenstellt wird.

 

Neuere Filme

Zu den neueren Filmen, die derzeit erfolgreich Filmpreise abräumen, gehören gleich zwei kanadische Filme: ISABELLE AU BOIS DORMANT / SLEEPING BETTY von Claude Cloutier und MADAME TUTLI-PUTLI von Chris Lavis & Maciek Szczerbowski, die zunächst auf dem nordamerikanischen Kontinent Erfolge feierten, sind jetzt auch in Europa zu sehen. Beides sind Produktionen des Office National du Film (National Film Board) in Montréal. Wie nur wenige Animationsfilme haben sie auch jenseits spezialisierter Animationsfilmfestivals großen Erfolg. Gemeinsam ist den beiden Filmen weiterhin, dass ihre Handlung nicht in der Realität verankert ist – allerdings auf unterschiedliche Weise: SLEEPING BETTY ist ein historisches Märchen in Tusche und MADAME TUTLI-PUTLI ein metaphysischer Psychothriller in Stop-Motion-Technik.

Bereits 2007 gestartet, aber noch „gut im Rennen“ sind zur Zeit gleich ein ganzer Schwung französischer Kurzfilme: LA LEí§ON DE GUITARE von Martin Rit, LE MOZART DES PICKPOCKETS von Philippe Pollet-Villard, NIJUMAN NO BEREI (200.000 Fantômes) von Jean-Gabriel Périot und DEWENETI von Dyana Gaye (Sénegal/F).

 

Weitere Preisträger in 2007

Zu nennen wären auch ALDRIG SOM Förste Gí¥ngen(Never Like the First Time) von Jonas Odell und DEN SISTA HUNDEN I RWANDA (The Last Dog in Rwanda) aus Schweden, der 2005 Premiere und daher 2007 seine Erfolgskurve überschritten hatte.

Ähnliches gilt auch für JEU von Georges Schwizgebel, der bereits im Jahr 2006 überall Erfolge feierte. Wie viele andere Animationsfilme, war JEU überwiegend unter den Fachleuten auf Animationsfilmfestivals beliebt, wie z.B. in Hiroshima, Zagreb, Leipzig und Espinho. Ebenso auf Animationsfestivals erfolgreich waren die Filme aus der Produktion von Studio Filmbilder oder die des Japaners Koji Yamamura.

Eher ein Spätzünder in 2007 hingegen war die Schulproduktion HOCHHAUS von Nikias Chryssos, der immerhin als einer der wenigen deutschen Filme in Frankreich einen Preis erhielt (Clermont-Ferrand, 2007).

 

Fazit (Versuch)

Es scheint so etwas wie eine Konjunktur nicht nur für bestimmte Themen, was ja gut nachvollziehbar ist, sondern auch für Länder zu geben. So waren 2006-2007 auffällig viele Filme aus Nordeuropa weltweit an der Spitze. 2007-2008 scheint hingegen eine starke französische und frankokanadische Periode zu sein. Solche Wellen legen den Schluss nahe, dass ein erfolgreicher Film aus einem Land andere Filme aus der selben Region mitzieht.

Auffällig ist, dass aus manchen Herkunftsländern – auch bei solchen mit großem Produktionsvolumen – nur wenige Filmtitel das Feld dominieren, also Preise eher akkumulieren als dies in anderen Ländern der Fall ist. Dies gilt insbesondere für Frankreich. Ob es an dort vorherrschenden zentralen Strukturen liegt?

Tatsächlich ist die Zahl der Preisträger, also Streuung der Preise auf mehrere Filme, aus Ländern mit starken regionalen oder dezentralen Strukturen wie Spanien, Deutschland und die USA relativ höher. Insbesondere für Großbritannien, das weltweit die meisten Kurzfilmpreisträger „liefert“, ist die Streuung deutlich größer.

Hieraus lässt sich vielleicht ableiten oder zumindest darüber spekulieren, ob nicht dezentrale Festival- und Distributionsstrukturen besser geeignet sind eine Kinolandschaft in ihrer ganzen Vielfalt zu verbreiten und abzubilden; obwohl es für Veranstalter und Kuratoren natürlich viel mehr Mühe macht Filme für ihre Wettbewerbe und Programme in solchen Ländern zu finden.

 

Internationale Akkumulierung von Preisen

Viel spannender ist aber die Frage, wie es im internationalen Maßstab mit der Akkumulierung von Preisen aussieht: die im Jahr 2007 etwa 900 erfassten Auszeichnungen wurden an knapp 700 verschiedene Filme vergeben. Von diesen 700 Filmen erhielten die meisten (knapp 600 Titel) nur eine Auszeichnung. Die übrigen 100 Filme erhielten jedoch zusammen mehr als 300 Auszeichnungen.
Oder anders gesagt: ein Drittel der Auszeichnungen im Jahr 2007 wurden von einem Siebtel aller prämierten Filme akkumuliert. Ist das viel? Zuviel?

Wenn sich – aufgerundet – 600 Filme im Jahr 900 Preise teilen, so erscheint das eigentlich nicht besonders dramatisch. Signifikant ist jedoch, dass die Verteilung bildlich ausgedrückt keine gleichmäßige Pyramidenform hat. Vielmehr gibt es eine schmale „Spitzengruppe“ gibt, die sich weltweit absetzt.

Dieser Eindruck würde sich sicherlich noch verstärken, wenn man die hier nicht mitgezählten kleinen Festivals und Wettbewerbe mit einbezieht. Denn die meisten der hier berücksichtigten Veranstalter verfügen über große Einreichplattformen, Netzwerke oder gar Scouts, die aktiv Filme suchen. Das Gros der Festivals ist jedoch darauf angewiesen bei anderen Veranstaltungen im eigenen Land zu sichten. Daher kann es schnell zu einem Schneeballeffekt kommen – zumal diese kleineren Festivals oder Veranstalter lokaler Ereignisse nicht den Anspruch haben Premieren zu bringen, sondern vielmehr gerade solche Filme suchen, die bereits andernorts gut angekommen sind.

Letztlich sind es aber nicht die Veranstalter, sondern Jurys, die über die Auszeichnungen entscheiden. Zwar sind Jurys auf die Vorauswahl von Festivals und Gremien angewiesen sind, doch bezüglich der starken Akkumulation von Preisen auf wenige Filme sind sie es, die verantwortlich sind. Diesem Effekt lässt sich statistisch nicht beikommen, da hier Werturteile im Spiel sind und ganz andere Mechanismen wirken.

So wissen alle Veranstalter, die schon einmal Jurys berufen haben, dass zum Beispiel durch Besetzungspolitik, kaum Einfluss auf Entscheidungstendenzen genommen werden kann. Und alle, die selbst einmal in einer Jury gesessen haben, wissen von der Eigendynamik, die sich in solchen Gruppen entfaltet. Eine Tendenz scheint dabei universal zu sein: eine geringe Bereitschaft zu möglicherweise anfechtbaren, unkonventionellen „unabgesicherten“ Entscheidungen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass die Schere zwischen Publikumspreisen und Jury-Preisen nicht wirklich weit auseinander geht – die Beurteilungen also auch diesbezüglich weitgehend übereinstimmen. Selbst noch so radikal besetzte, profilierte Jurys neigen letztlich dazu sich eher am Mainstream oder dem bereits Anerkannten zu orientieren. Dies gilt offenbar umso mehr, je weniger homogen eine Jury besetzt ist, da dann der Druck einen gemeinsamen Nenner zu finden, viel größer ist, was wiederum opportunistische Entscheidungen nach konventionellen Maßstäben begünstigt.

Aber vielleicht verhält es sich ganz anders? Die mit Fachleuten, Liebhabern und Kennern besetzten Jurys treffen tatsächlich die richtigen Entscheidungen für die besten Filme und das Publikum hat sowieso immer Recht!

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