Rückblick auf das erste bundesweite Vernetzungstreffen der Initiative „Festivalarbeit gerecht gestalten“

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1. Vernetzungstreffen „Festivalarbeit gerecht gestalten“ © Initiative Festivalarbeit

1. Vernetzungstreffen „Festivalarbeit gerecht gestalten“ © Initiative Festivalarbeit

 

Als im Mai 2016 der erste Aufruf der gerade frisch gegründeten Initiative „Festivalarbeit gerecht gestalten“ verbreitet wurde, fand eine bis dahin weitestgehend unbeachtet und unter prekären Bedingungen arbeitende Berufsgruppe eine Stimme. Erstmalig formt sich ein Zusammenschluss aus Akteur*innen der Filmfestivallandschaft in Deutschland, um die Arbeitsbedingungen innerhalb der Branche zu verbessern.

 

Während in vielen Leipziger Kinos Besucherschlangen vor den Kinokassen warten, um Tickets für das DOK Leipzig, eines der renommiertesten Filmfestivals weltweit zu ergattern, versammeln sich am 4. November 2016 circa 80 Mitarbeiter*innen von Filmfestivals, Vertreter*innen von filmbezogenen Initiativen sowie Freischaffende und Journalist*innen zu einer dringend notwendigen Bestandsaufnahme. Nach außen hin sind Filmfestivals erfolgreich wie nie. Inzwischen umfasst die deutsche Festivallandschaft ungefähr 450 Filmfestivals.

Im Verlauf der insgesamt vierstündigen Veranstaltung wird vor allem eines deutlich: Vor dem Arbeitskampf steht statistische Fleißarbeit und das Ringen um Definitionen und Begriffe.

Bereichert wird die Versammlung durch die Soziologin Lisa Basten, die Medienwissenschaftlerinnen Tanja C. Krainhöfer und Skadi Loist vom Film Festival Research Network (FFRN), drei Wissenschaftlerinnen mit Festivalerfahrung, die jeweils seit Jahren zu Filmfestivals bzw. Arbeitsbedingungen in der Kreativwirtschaft forschen, und deren Ergebnisse die gefühlte Arbeitsrealität vieler anwesender Festivalarbeiter*innen empirisch belegen.

Vom international angesehenen Filmfestival bis hin zur Hobby-Cineasten-Initiative – das Fortbestehen einer ganzen Branche scheint von der Bereitschaft zur Selbstausbeutung der darin Arbeitenden abzuhängen. Saisonarbeit, Werksverträge und Vergütungen weit unter Mindestlohnniveau bei kompletter Eigenverantwortung für die soziale Absicherung sind die Regel. Die anwesende Vertreterin von ver.di bezeichnet die Festivalarbeiter*innen in ihrer Begrüßung deshalb direkt als „Betroffene“.

 

Informelle Umfrage unter den Anwesenden im Saal:

Mit unbefristeter Festanstellung in Vollzeitstelle bei einem Filmfestival: ca. 12% der Meldungen.

Mit befristeter Festanstellung: ca. 13% der Meldungen.

Mit Werksverträgen: ca. 25% der Meldungen.

Ehrenamtliche/Unbezahlte: ca. 50% der Meldungen.

Allgemeines Gelächter.

 

„Es wurde sich bisher in der Festivalszene nicht vernetzt und nicht über Geld gesprochen“ eröffnet Grit Lemke, Leiterin des Filmprogramms bei DOK Leipzig und neben Alexandra Hertwig (Kasseler Dokfest), Andrea Kuhn (Filmfestival der Menschenrechte Nürnberg) und Ludwig Sporrer (DOK.fest München) eine der vier Initiator*innen der Initiative das Podiumsgespräch. Auch ihr sei die strukturelle Selbstausbeutung erst beim Wechsel in eine Festanstellung bewusst geworden.

Mit Geschäftspraxen, wie sie in der Festivalarbeit derzeit herrschen, ist eine gerechte und ausreichende Teilhabe am Sozialsystem, ja sogar ein Mindestmaß an Absicherung, schlichtweg unmöglich.

 

Ludwig Sporrer fragt ans Plenum: Wer hat schon einmal daran gedacht, mit der Festivalarbeit aufzuhören?

Nachfrage aus dem Zuschauerraum: Das fragst du nicht im Ernst, oder?

Eine einzelne Hand hebt sich.

 

Kreative Berufe mit einem Arbeitsalltag geprägt von Autonomie und Innovation erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Seit zwanzig Jahren verschieben sich die Ansprüche an das Arbeitsumfeld vom bloßen Broterwerb hin zum Ort der persönlichen Selbstverwirklichung. Dies und die Angst vor entfremdeter Arbeit lassen viele sich bewusst gegen ein Normalarbeitsverhältnis und die damit einhergehende staatliche soziale Absicherung entscheiden. Meist sind es sehr gut ausgebildete Menschen, vor allem aus der Mittelschicht. In den Großstädten machen in der so genannten Kreativ- und Kulturwirtschaft Arbeitende bereits bis zu zehn Prozent der Erwerbstätigen aus. In Deutschland arbeiten doppelt so viele Menschen in diesem Sektor wie im Automobilbau, insgesamt 1,6 Millionen, wobei hier hoch spezialisierte Berufe im Umfeld von Filmfestivals sowie in Vereinen noch gar nicht statistisch mit erfasst wurden. Einzahlungen in die Künstlersozialkasse reichen für viele Kreative oft als Absicherung nicht aus, die meisten festivalrelevanten Arbeitsbereiche, zum Beispiel kuratorische Tätigkeiten, ermöglichen nicht einmal den Eintritt in selbige. Einem ganzen Berufszweig droht die Altersarmut und bisher mangelt es an Lösungsansätzen, die sozialen Absicherungssysteme im Hinblick auf stetig wachsende Zahlen der Selbstständigen vor allem in der Kreativwirtschaft umzugestalten. In einem Gespräch zwischen Grit Lemke und Harald Petzold, dem medienpolitischen Sprecher der Linken im Bundestag, wurde deutlich, wie wenig die Abwesenheit von Mindeststandards in der Filmfestivalarbeit bekannt ist.

 

Frage ins Plenum: Wer sorgt ausreichend fürs Alter vor?

Eine Meldung.

Applaus.

Frage aus dem Zuschauerraum: Welches Festival?

 

Festivalarbeit, so scheint es, gilt in der Wahrnehmung durch die Politik als Ausdruck bürgerlichen Engagements. Und obwohl sich sicherlich viele Filmfestivals aus anfangs privaten Initiativen gegründet haben, hat in den vergangenen Jahren eine umfassende Professionalisierung stattgefunden.

Für viele Kommunen sind Festivals unverzichtbarer Bestandteil des kulturellen Lebens und unterstützen diese in Form von Kultur-, Wirtschafts- und Standortförderung mit nicht unerheblichen Vorteilen für sowohl die nationale und internationale Filmwirtschaft als auch die lokale Gesellschaft und Wirtschaft in Form von kultureller Teilhabe und regionalen Wirtschaftseffekten.

Filmfestivals etablieren sich immer mehr als alternative Auswertungsorte für Filme und übernehmen damit Aufgaben der Programmkinos. Filme erzielen unter Umständen inzwischen mehr Publikum auf Festivals als bei der regulären Kinoauswertung. Doch mit einem Paradigmenwechsel von Spielstätten mit kontinuierlichem Spielbetrieb zu Festivals und Events ändern sich auch die Arbeitsbedingungen. Saisonarbeit ist die Regel, manche Festivalarbeiter*innen ziehen von Festival zu Festival mit jeweils Verträgen über wenige Monate. Festivals, die auf billige und ehrenamtliche Arbeitskräfte angewiesen sind, beschäftigen Scharen an Praktikant*innen in Arbeitsbereichen mit zum Teil hoher Verantwortung und müssen dann jeder Praktikantengeneration erneut mühsam Know-How vermitteln. Notwendige Kontinuität ist so nicht möglich, die Festivals verkommen zum „Durchlauferhitzer“.

Während die Kommunen, Gemeinden und Länder nur allzu gern die von den Festivals geleistete Kulturvermittlung und Bildungsarbeit zum Standortmarketing nutzen, fehlt ein Verständnis seitens der Kulturpolitik, Festivals auch als Wirtschaftsbetriebe und Arbeitgeber wahrzunehmen, als immer wichtiger werdende Auswertungsplattform für Filme, als Motoren einer ganzen Branche mit Strahlkraft weit darüber hinaus. Eine Studie zur Umwegrentabilität der Berlinale ergab, dass für jeden Euro Förderung vier Euro Profit in der lokalen Wirtschaft im Umfeld des Festivals generiert werden. Festivalarbeiter, die dies erst möglich machen, bekommen jedoch nichts oder kaum etwas vom Geldfluss ab, stattdessen werden Gelder für Werbung, Reisekosten und Unterbringung aufgewendet oder sie sind streng zweckgebunden. Und so dürfen Projektmittel für Post-its ausgegeben werden, jedoch nicht für Personal. Festivals erwirtschaften einen hohen ideellen Profit, der monetäre Profit geht jedoch an Hotels und die Bahn, so ein Plenumsteilnehmer.

 

Plenumsteilnehmerin: Vor fünf Jahren wäre ich mit meiner Arbeit bei einem großen Dokumentarfilmfest – sofern ich meinen regulären freiberuflichen Stundenlohn von 35 Euro zugrunde gelegt hätte, mit allem, was ich davon nicht ausgezahlt bekommen habe – der größte Geldgeber des Festivals neben der Stadt gewesen. Und da bin ich gewiss nicht die, die am meisten investiert hat.

 

Wer ist nun in der Verantwortung zu sehen? Die Kulturpolitik mit ihrem mangelnden Verständnis für die Bedürfnisse der Festivals und deren wirtschaftlichen und kulturellen Wert? Oder die Festivals selbst, die keinen Paradigmenwechsel in der eigenen Budgetplanung anstreben und Jahr für Jahr größer werden ohne Gehaltserhöhung für die Beschäftigten? Darüber, wie eine gerechtere Entlohnung der Festivalarbeiter*innen zu erreichen sei, wird in der über vierstündigen Veranstaltung angeregt diskutiert. Als Ziel wird immer wieder die Erfüllung der Mindestlohnvorgaben genannt, und dies in einem Raum voll Hochschulabsolvent*innen.

 

Frage: Wer hat einen Hochschulabschluss?

Alle Hände gehen hoch.

Gelächter.

 

In einer Branche, die vor allem auf hohem persönlichen Einsatz und unerschöpflichem Idealismus fußt, scheint es unmöglich, einen Arbeitskampf zu initiieren. Stattdessen werden andere Finanzierungsmodelle von Wirtschaftsförderung bis Sponsoring durchdacht. Viele Festivalmacher*innen sind sowohl Arbeitnehmer*innen als auch für die Beschaffung der Gelder zuständig. Eine schizophrene Situation für viele. Wie streitet man kollektiv für eine angemessene Bezahlung, wenn die Erfüllung der Mindestlohnvorgaben das Aus für das eigene Festival bedeuten würde?

Gegen Ende der Diskussion wird deutlich, dass die noch junge Initiative an zwei Fronten kämpfen werden muss: Als Zusammenschluss der Festivalarbeiter*innen für gerechtere Bedingungen und Entlohnung der eigenen Arbeit sowie arbeitnehmerähnliche Rechte auch im Kreativbereich, und als Zusammenschluss der Festivalmacher*innen für die bessere Wahrnehmung der Festivallandschaft als solche, um überhaupt eine Basis für faire Arbeitsbedingungen zu schaffen. Sie wird dafür kämpfen müssen, dass der wirtschaftlich-kommerzielle und kulturelle Wert der Filmfestivals in den Fokus gerät, öffentlich dargestellt und anerkannt wird. Um die Verbesserung der Situation der Filmfestivals und der Festivalarbeiter*innen auf die politische Agenda zu hieven, werden jedoch zunächst Fakten und Zahlen zur aktuellen Situation zu ermitteln sein. Kein leichtes Unterfangen, wenn Statistik und Forschung kaum auf Kulturbetriebe ausgerichtet sind.

Daten über Filmfestivals sind schwer zu erheben, bestätigen auch die drei Wissenschaftlerinnen. Die große Varianz und Diskontinuität innerhalb der Festivallandschaft hinsichtlich ihrer Organisationsstruktur, ihrer Förderschwerpunkte oder Größe erschweren die Definition von Kategorien. Daher existieren auch keine Zahlen dazu, wie viele Menschen eigentlich bei Filmfestivals arbeiten und wie die Geschlechterverhältnisse sind. Zählen nur die Festangestellten als Festivalarbeiter*in oder schließt dies die Ehrenamtlichen mit ein? Wie definiert man große, mittlere, kleine Festivals? Welche Parameter sollen hier zugrunde liegen? Die Anzahl der Mitarbeiter*innen, Zuschauerzahlen oder Umsatz?

Eine statistische Basis muss erstellt, der Status Quo abgebildet werden. Gleichzeitig muss eine Vision und eine kollektive politische Haltung formuliert werden.

Erste Antworten sollen bis zum nächsten Treffen der Initiative Festivalarbeit gerecht gestalten während der Berlinale im Februar 2017 gefunden werden.

Der erste Schritt ist getan. Mögen die Intitiatoren*innen und Engagierten einen langen Atem haben.

 

 

Weitere Informationen zur Initiative auf deren Blog: https://festivalarbeit.wordpress.com/

und Facebook: https://www.facebook.com/festivalarbeit

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