Marion Pfaus

Die (Un-)Verwechselbare

HUMBOLDT 21 © Marion Pfaus

HUMBOLDT 21 © Marion Pfaus

Marion Pfaus spielt gern mit Identitäten. So kokettiert die Wahlberlinerin auf ihrer Webseite damit, immer wieder für jemand anderen gehalten zu werden. Tatsächlich trat sie viele Jahre gemeinsam mit der Autorin und Künstlerin Felicia Zeller live unter dem Label „Die Verwechselbaren“ auf. Da gehört die Konfusion um die Persönlichkeiten zum Programm. Die bewusste Konstruktion eines Alias, bzw. die Einführung eines Künstlernamens kann dieses Spiel sehr bereichern. So hat Marion Pfaus vor etwa zehn Jahren die Kunstfigur Rigoletti erfunden, „the worlds most unknown Popstar“. Als echter Popstar-to-be verfolgt Rigoletti – wie so viele Celebrities weltweit – verschiedene Strategien, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie schreibt Romane und Drehbücher, dreht aber auch Horrorfilme und Musikvideos, schauspielert und produziert sogar – aber nur, wenn noch etwas Zeit bleibt – ein bisschen Videokunst. Zumindest behauptet sie das in ihrem „Videobrief von Rigoletti“ von (2003).

Marion Pfaus selbst macht es genau anders herum. Obwohl die Medienkünstlerin fast ebenso multioptional begabt ist wie ihr Alter Ego Rigoletti und neben diversen Kunstprojekten auch Kolumnen schreibt, das „Fremdbloggen“ erfunden und bereits ein Buch und verschiedene Beiträge in Anthologien veröffentlicht hat, konzentriert sie sich momentan auf die Produktion ihrer unschlagbar komischen Kurzfilme. In ihren Filmen, die alle auf ihrer Webseite www.rigoletti.de zu sehen sind, nimmt sie verschiedene Phänomene des alltäglichen Lebens unter die Lupe. So erforscht sie z.B. mit großer Ernsthaftigkeit die Möglichkeiten der modernen Videotechnik und definiert dabei den Begriff Homevideo ganz neu. Ihr 2002 produzierter Kurzfilm „In drei einfachen Schritten zum Meisterwerk“ enthält schlicht und einfach das, was der Titel verspricht: eine Anleitung, wie man mit Consumer-Software und wenig Equipment zu Hause einen perfekten Film herstellt. Die sich nach und nach entfaltende Komik dieser Arbeit steht dabei in einem umgekehrt proportionalen Zusammenhang zu Pfaus abgeklärten Kommentaren im Film. Mit ernster Miene und sehr konzentriert zählt sie die diversen Möglichkeiten moderner Schnittsoftware auf, führt verschiedene Schnitteffekte praktisch vor und gibt – in absolut ironiefreier Manier – sehr praktische Empfehlungen für den kreativen Einsatz der Technik. So beschließt sie, die Möglichkeiten der Verpixelung eines Bildes zu demonstrieren, indem sie sich (natürlich im verpixelten Modus) vor der Kamera auszieht oder verdeutlicht die großartigen Sounds, die die Software zur Nachvertonung bereithält, indem ihr immer mal wieder ein Tierlaut oder hymnische Fanfaren ins Wort fallen. Der Titel dieses Films, der so Pfaus „auf unzähligen Festivals lief, aber keine Preise gewonnen hat“ ist übrigens direkt der Verpackung der Software entlehnt.

Pfaus, die aus Baden-Württemberg stammt, hat ihr Handwerk an der Ludwigsburger Filmakademie gelernt. Ihre Zeit an der Filmhochschule (sie gehörte zum ersten Abschlussjahrgang) beschreibt sie als durchaus ambivalent. Gelitten habe sie vor allem darunter, dass es an der Akademie nicht darum ging, sich auszuprobieren oder künstlerische Experimente zu wagen. Stattdessen stand der klassisch erzählte Langfilm im Mittelpunkt, der für sie persönlich als Erzählform „eher nicht in Frage kommt“. Trotz allem blieb sie an der Hochschule – und fand ihre Nische in der „Strafkolonie“ der Filmakademie, dem Fachbereich Wirtschafts- und Gesellschaftsfilm, „wo keiner hin wollte außer mir und meiner Kommilitonin Felicia Zeller, mit der ich die Zeit in Ludwigsburg gemeinsam überstanden habe und bis heute zusammen arbeite – und verwechselt werde“, wie Pfaus lachend erzählt. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Ausbildung in der Strafkolonie in Pfaus Filmen heute noch spürbar ist. So erinnert der gänzlich un-ironische Tonfall ihrer Videos nicht von ungefähr an klassische Industriefilme. Pfaus, bzw. Rigoletti betreibt diese filmische Mimikry mit einer solchen Stringenz, dass sie bei manchen Arbeiten fast über ihr Ziel hinaus schießt. Immer wieder, so erzählt sie, werde ihr „eine Ernsthaftigkeit unterstellt“ von der sie weiter kaum entfernt sein könnte.

Wie schmal der Grad zwischen Witz und Ernst ist und wie wichtig der Kontext der Sichtung ist, zeigt sich daran, dass ein Film wie „16:9 Full HD“ (2007) immer wieder als ernst gemeinte Hymne an ein neues Bildformat verstanden wird. In dieser knapp 12-minütigen Arbeit untersucht Marion Pfaus die Folgen der Formatumstellung von 4:3 auf 16:9, die von Geräteherstellern und Industrie als Meilenstein in der Geschichte der audiovisuellen Aufnahmetechnik gefeiert wird. Pfaus fragt nach und versucht, begreiflich zu machen, was die Bildvergrößerung für Ästhetik und Inhalt bedeutet (da passt sogar der ICE in seiner kompletten Länge ins Bild rein!), rechnet umständlich aus, wie groß der Platzgewinn im Bild nun wirklich ist und referiert auch die Hoffnung der Branche auf satte Zugewinne. Der Witz des Films ergibt sich – wie in den meisten Rigoletti Filmen – aus der Kombination der knochentrockenen Kommentare mit Bildinhalten, die das Gesagte durch Überaffirmation konterkarieren. Pfaus untergräbt die offiziöse Diktion von Medien und Werbung nicht durch Hinterfragen, sondern indem sie sie „beim Wort nimmt“ und mit allem gebotenen Ernst vorträgt. Während der Film auf diversen Kurzfilmfestivals für große Erheiterung sorgt, bleibt die Komik in eher technikaffinen Kontexten durchaus auch mal unbemerkt, wie Pfaus berichtet.

Es ist nicht zuletzt Pfaus‘ Talent zum Pokerface, das solchen Missverständnissen Vorschub leistet. Ihre spezielle Art von Humor erinnert teilweise an die frühen Super-8-Filme von Jan Peters, kommt aber thematisch deutlich weniger selbstbezogen daher. So widmet sich Marion Pfaus weniger ihren persönlichen Befindlichkeiten, sondern sucht sich ganz bewusst anschlussfähige Themen. In „humboldt21“, der im Jahr 2011 fertig gestellt wurde, widmet sie sich einer Frage, die weit über die Berliner Stadtgrenzen hinaus die Gemüter erhitzt: dem geplanten Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. Untermalt mit dramatischen Streicherklängen „agitiert“ Rigoletti diesmal als Sprecherin der (bis zum Zeitpunkt des Drehs ausschließlich fiktiven) Initiative humboldt21, die sich den Rückbau des momentan noch in Planung befindlichen Schlosses zum Ziel gesetzt hat. Ihre Behauptung: das Schloss werde nur aus Trotz wieder aufgebaut, weil es 1945 von den Kommunisten in die Luft gesprengt wurde. Da der Wiederaufbau kaum noch zu verhindern ist, macht sich Rigoletti gar nicht erst die Mühe, dagegen zu protestieren. Stattdessen denkt sie gleich in größeren historischen Dimensionen und plant den Rückbau, schon bevor der erste Spatenstich erfolgt ist. Analog zu den Bemühungen des Fördervereins für den Wiederaufbau des Schlosses wirbt am Ende des Films auch Pfaus um Spenden und hat – für sie selbst überraschend – bis Juni 2012 bereits 271,37 EUR eingeworben. Dass deshalb aus der im Film bloß behaupteten Initiative humboldt21 eine reale Gruppe wird, scheint trotzdem eher unwahrscheinlich. Die gestiegene Aufmerksamkeit ist Pfaus allerdings sehr recht, denn der Grundimpuls für einen Film wie „humboldt21“ ist tatsächlich eine ernst gemeinte Kritik an den herrschenden Zuständen. „humboldt21“ gehört zu den meistgesehen Filmen von Marion Pfaus, nicht nur im Internet, sondern auch auf Festivals und in anderen Zusammenhängen.

Im Juni 2012 performte Marion Pfaus dann ihren eigenen Film beim Pecha Kucha Berlin (Link: pechakucha.de/berlin/). Außerdem wurde „humboldt21“ auf Symposien zur Stadtplanung gezeigt und Pfaus wurde sogar eingeladen, ihr Rückbauprojekt dort vor Fachleuten en detail zu erläutern. Die Erfahrungen mit den Stadtplanern lassen sie inzwischen tatsächlich über eine Fortsetzung des Films nachdenken. Bei ihrem schnellen Tempo wird sie ohne Zweifel noch einige Filme zum Thema produzieren können, bevor der erste Stein des Stadtschlosses gesetzt ist.

Obwohl Filme wie „humboldt21“, „16:9 Full HD“ und „In drei einfachen Schritten zum Meisterwerk“ so aussehen, als seien sie relativ spontan entstanden, liegt ihnen eine ausgeklügelte Planung und Struktur zugrunde, „gerade wenn es spontan aussehen soll, muss alles extrem gut vorbereitet sein“, so Marion Pfaus. Trotzdem gelingt es ihr, die im Regelfall ihre Filme im Alleingang produziert, 8-10 Videos pro Jahr fertig zu stellen. Einen großen Anteil an diesem Produktionsvolumen haben seit September 2010 die verschiedenen Folgen der Serie „Phänomene des Alltags“, in denen Marion Pfaus die Absurditäten des Alltags aufs Korn nimmt, seien es Jogger, die an Ampeln wartend im Stehen weiter laufen, absurde Radwegverläufe in Berlin, Herpesinfektionen, die sich umgekehrt zum Kontinentaldrift verhalten oder die allgegenwärtigen Media Artists, die mit ihren iPhones Kreuzberg unsicher machen. Inzwischen ist Marion Pfaus beim 21. Teil der Serie angelangt, der sich dem Thema „Weltverbesserung“ (2012) widmet. Die beiden meistgesehenen Videos der „Phänomene-Reihe“ beschäftigen sich mit den verschiedenen Berliner „Fahrradbesitzlevels“ (2011) und der Fortbewegung via Automobil „schnell aber sexy – Rotlichtverstöße“ (2011) und der Anregung an den Berliner Senat, Rotlichtverstöße engmaschiger zu ahnden, um das Stadtsäckel aufzufüllen.

Die Tatsache, dass alle Filme via YouTube und auf der eigenen Webseite verfügbar sind, gehört für Marion Pfaus mit zum Konzept. Sie versteht ihre einzelnen Arbeiten als Teile einer größeren Strategie, die sie als „entspezialisierte Medienartistik“ bezeichnet. Sie agiert eher wie eine multimediale Bloggerin denn wie eine klassische Filmemacherin. Dass sich durch die unverzügliche Online-Auswertung die Chancen einer Festivalteilnahme verringern, stört sie nur bedingt. Ihr geht es schlicht und einfach darum, dass die Filme gesehen werden. Einen fertigen Film monatelang in der Schublade liegen zu lassen, bevor er dann eventuell irgendwo eine Festivalpremiere feiern kann, entspricht nicht ihrem künstlerischen Konzept. Ähnliches gilt für das Thema Förderung. Bisher ist der Großteil der Filme von Marion Pfaus ohne Filmförderung entstanden. Sie produziert viel zu aktuell und vor allem viel zu spontan, um Monate vorher durchgeplante und budgetierte Konzepte einreichen zu können. Die Produktion einer seriellen TV-Kurzform analog zu „Phänomene des Alltags“ würde sie aber doch reizen, zumindest dann, wenn sie das Format selbst entwickeln könnte. Es wird von der Offenheit der Sender abhängen, ob Formaten, die im Internet erfolgreich sind, nicht auch im Sendebetrieb ein Platz eingeräumt werden kann.

Festzuhalten bleibt, dass die Arbeitsweise von Marion Pfaus quer den Strukturen des Filmbetriebs liegt. Pfaus ist eine Medienkünstlerin, die ihre Filme meist mit minimalen technischen Mitteln als One-Woman-Show, d.h. ohne Team produziert. Diese Unabhängigkeit ist konstitutiv für ihre Arbeitsweise, funktioniert aber bisher nur, weil sie sich das Geld zum Leben als Lehrbeauftragte an verschiedenen Hochschulen verdient. Sie unterrichtet dort unter anderem digitalen Videoschnitt und Kameratechnik. Einigen ihrer Studenten, so erzählt sie, habe sie vor ein paar Jahren mal ihre Filme gezeigt, doch „die haben das gar nicht verstanden, sondern alles ganz ernst genommen.“ Es bleibt zu hoffen, dass auch denjenigen, die eifrig mitgeschrieben haben, im Nachhinein doch noch ein paar Zweifel gekommen sind. Denn die sind grundsätzlich und überall angebracht, findet Marion Pfaus. Erst recht dann, wenn man auf Schritt und Tritt absurden Phänomenen des Alltags begegnet, bei denen es mehr als gerechtfertigt ist, ihnen einen kleinen aber feinen Film zu widmen.

Luc-Carolin Ziemann

Filmografie (in Auszügen):

Phänomene des Alltags (2011-2012)
humboldt21 (2011)
wahl11(2010/2011)
Bundesligalied (2009)
Der perfekte Moment (2008)
Tell me is this paradise / or is it just another scheiss (2008)
The Next Rigoletti (2008)
16:9 FULL HD‘ (2007)
Der Ordner (2006)
Mach den shimmy noch mal (2005)
Wir aus Baden-Württemberg (2004)
Learning English mit Rigoletti (2004)
Videobrief von Rigoletti (2003)
Videobrief an Rigoletti (2003)
In drei einfachen Schritten zum Meisterwerk (2002)
Die IchAG (2002)
Die Kids von den Schönhauser-Allee-Arkaden (2002)
Landessexklinik Baden-Württemberg (2002)
Mut der Ahnungslosen (1998)

Links:
www.rigoletti.de
www.humboldt21.de
www.wahl11.de
www.landessexklinik.de

http://vg06.met.vgwort.de/na/3ad33a084cea43088baaa272688cd63e

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