Lola Randl

The Grass is Always Greener on the Other Side

DIE LEIDEN DES HERRN KARPF – DER BESUCH © Lola Randl

Elke und Iris sind alte Freundinnen, die sich ein bisschen aus den Augen verloren haben. Beide sind knapp fünfzig, arbeiten aber hart daran, dass man Ihnen das nicht ansieht. Iris hat vor kurzem geheiratet, Elke eine Weile in Portugal gelebt, aber so richtig glücklich ist keine von beiden. Gemeinsam fahren sie aufs Land, ein Wohlfühlwochenende in Iris geschmackvoll eingerichtetem Wochenendhaus. Beim Schwärmen von alten Zeiten flackern die Erinnerungen an gemeinsame Beutezüge in ihren „wilden Jahren“ auf und die beiden beschließen, sich aufzuhübschen und im Dorfgasthof nach Opfern Ausschau zu halten.

Wie die beiden alternden Großstadtmiezen sich daran machen, in der schäbigen Dorfkneipe ihre anvisierte Beute, einen ahnungslosen und weitaus jüngeren Förster, in die Zange zu nehmen, das ist absolut sehenswert. Nicht zuletzt deshalb, weil sich das eigentliche Duell natürlich nicht zwischen dem tollpatschigen Aushilfs-Romeo mit Halbglatze und seinen erfahrenen Häscherinnen abspielt, sondern zwischen Iris und Elke. Die typisch weibliche Schlacht um die männliche Aufmerksamkeit hat viele Facetten und ist ein zentrales Thema in den Filmen Lola Randls.

„Frauenfreundschaften können einfach so was wahnsinnig Fieses haben“, sagt die 28-jährige. „Was mich an solchen Beziehungen interessiert ist, dass hier so viel unterirdisch, also unter der Oberfläche der Worte, passiert. Und genau diese Ebene ist es, die mich beim Schreiben am meisten interessiert. Am spannendsten ist eben nicht, was die Figuren sagen, sondern wie sie es sagen. Das ist doch im normalen Leben doch auch so, dass die Pausen in den Gesprächen viel mehr sagen als nur die Worte, die sie sprechen.“

Und diese Pausen weiß die 28-jährige Regisseurin sehr präzise zu setzen. Schon in „Nachmittagsprogramm“, einem Kurzfilm, der in ihrem dritten Studienjahr entstand, erzählen die bedrückenden Pausen im stockenden Dialog zwischen zwei pubertierenden, gelangweilten Jugendlichen auf dem Dorf mehr als ihre ungelenken Worte.
In seinen besten Momentan wirkt „Nachmittagsprogramm“ wirkt ein wenig wie eine entschärfte Kurzfassung von Ulrich Seidls „Hundtage“. Es ist unerträglich heiß und für zwei Heranwachsende scheint es auf dem bayerischen Land zwischen gesprengten Vorgärten und der verlassenen Bushaltestelle keinen Platz zu geben. Der einzige Ausweg ist der Regelbruch, zu dem es nicht mehr braucht als ein paar Dosen Bier, ein frisiertes Moped und ein Bad in einer abgesperrten Kiesgrube. Zum Glück versucht der Film nicht mehr zu sein, als die präzise Beschreibung eines Moments des Aufbegehrens. Randl achtet genau darauf, aus der kleinen Flucht aus dem Alltag eben keine runde Geschichte zu machen. Diese beiden gelangweilten Halbwüchsigen erleben nicht den Ausnahmemoment, nicht den Beginn einer romantischen Liebesgeschichte oder einer fantastischen Freundschaft, sondern sie stolpern durch eine dieser vielen Situationen der ganz normalen Pubertätshölle, an die man sich später nie ohne Schaudern erinnert, weil nichts so gelaufen ist, wie man sich das vorher vorgestellt hat, und sich kein Gefühl so angefühlt hat, wie man es erwartet hatte.
Nach knapp 20 Minuten entlässt Lola Randl ihre Figuren dann so unspektakulär, wie sie sie eingeführt hat. Der Film spuckt die beiden Protagonisten nach ihrem gemeinsamen Ausbruch aus der Langeweile genau dorthin zurück, wo sie losgefahren sind. „Nachmittagsprogramm“, der an der Kölner Hochschule für Medien entstand, wurde auf verschiedenen Kurzfilmfestivals gezeigt und beschert der Regiestudentin auch erste Auszeichnungen.

Mit ihrem nächsten Projekt bleibt Randl, die selbst in der bayerischen Provinz in einer Ökokommune aufgewachsen ist, ebenfalls südlich des Weißwurstäquators. Dabei hält sie kein Heimatgefühl im südlichsten Bundesland, sondern der sichere Instinkt, dass sie sich dem Leben in der ländlichen Abgeschiedenheit der Provinz noch nicht genug genähert hat, um dieses Thema für sich abschließen zu können.
Eine lange Recherchephase markiert den Beginn der Arbeit für ihren nächsten Film, der als langer Dokumentarfilm geplant ist. Nachdem mit Plattling, einem kleinen Ort zwischen Regensburg und Passau, ein prototypischer Schauplatz gefunden ist, beginnt sie nach aufwändigen Castings mit einer ganzen Reihe von Protagonisten zu drehen. Den Knotenpunkt, an dem sich die verschiedenen Figuren treffen sollen, bildet ein Plattlinger Photostudio, das sich unter anderem auf erotische Photographie spezialisiert hat. Tatsächlich gelingt es Randl in den monatelangen Dreharbeiten, eine ganze Reihe skurriler Begebenheiten zu dokumentieren, doch nach gut einem Jahr muss sie sich selbstkritisch eingestehen, dass sich trotz Bergen von Material kein ausreichend starker roter Faden gewinnen lässt, um tatsächlich einen langen Dokumentarfilm zu realisieren. Natürlich ist eine solche Erkenntnis nach fast 1 ½ Jahren Arbeit immer ein bitterer Moment, aber letztlich entscheidet sie sich dafür, sich auf eine einzelne, starke Episode zu konzentrieren und wiederum einen Kurzfilm zu realisieren.

Das Ergebnis heißt „Verena, Verona“ (2005) und portraitiert in einer knappen viertel Stunde zwei junge Plattlinger Mädchen, die sich in der Nachsaison an der italienischen Adria-Küste verzweifelt auf die Suche nach dem wilden Leben begeben. Schon nach den ersten Einstellungen wird deutlich, warum sich Randl auf diese beiden Protagonistinnen konzentriert hat. Solche Dialoge kann sich niemand ausdenken. Fassungslos verfolgt man, wie sich die beiden Mädchen beim Fernsehen in ihrem billigen Hotelzimmer, beim Zurechtmachen zwischen Wolken von Haarspray und Parfüm und beim ziemlich hemmungslosen Jungs-Aufreißen aufführen. Natürlich wissen die Grazien genau, dass Ihnen eine Kamera auf den Fersen ist, so etwas vergessen gerade zwei junge Mädchen auf der Balz ganz sicher nicht. Trotzdem – oder gerade deshalb – geben sie sich völlig ungehemmt (das Wort „natürlich“ bietet sich angesichts der wilden Trink- und Knutschgelage nicht wirklich an) und sehr sehr cool. Da fällt das Zuschauen nicht leicht, gerade weil sich die beiden immer knapp am Rand des Abgrunds entlang hangeln. Dass der Balanceakt am Ende doch gelingt, liegt vor allem an dem sensiblen Schnitt, der immer gerade so lange dran bliebt, bis man es gar nicht mehr aushalten kann. Auch hier fühlt man sich an die Arbeiten österreichischen Kollegen wie Ulrich Seidl oder Barbara Albert erinnert, die sich ebenfalls auf das Changieren zwischen Inszenierung und Dokumentation spezialisiert haben.

Nach ihrem kräftezehrenden Ausflug in die Welt des Dokumentarfilms beschließt Randl, sich erst einmal verstärkt dem Schreiben zu widmen. Rückblickend sagt sie, dass sie mit diesem Ausflug ins andere Genre einiges an Erfahrung gewonnen und gleichzeitig die Illusion verloren habe, ein Dokumentarfilm sei schneller und mit weniger Aufwand zu realisieren als ein Spielfilm. Auch wenn sie grundsätzlich nicht ausschließen mag, noch einmal dokumentarisch zu arbeiten, konzentriert sie sich nach dieser Erfahrung erst mal wieder auf das fiktionale Erzählen. Mit dem schon erwähnten Kurzfilm „Wohlfühlwochenende“ schließt Randl schließlich ihr Studium in Köln ab.

Ihre eigene Arbeitsweise beschreibt Lola Randl augenzwinkernd als dialektisch:
„Ich bin schon ein bisschen so veranlagt, dass ich immer das Gras auf der anderen Seite des Zauns grüner finde. Schreibe ich grad an einem Drehbuch, dann sehne ich mich nach den festen Abläufen und der Schnelligkeit eines Drehtages, drehe ich gerade, dann würde ich nichts lieber haben als die Ruhe zu Hause am Schreibtisch. Wenn ich gerade an einem Kurzfilm arbeite, dann sehne ich mich nach der Zeit und den erzählerischen Mitteln eines Langfilms und wenn ich gerade mitten in der Finanzierung eines Langfilms feststecke – na, klar, dann würde ich gern so einen schnellen, spontanen kleinen Kurzfilm machen.“

Trotz aller Dialektik: das Schreiben liegt ihr sehr am Herzen. Bisher konnte sie sich noch nicht vorstellen, ein fremdes Buch zu verfilmen. Zu viel gibt es da, was sie selbst noch erzählen will. Auch das Drehbuch ihres Langfilmdebüts „Die Besucherin“, der 2008 auf der Berlinale seine Premiere feiert, schreibt sie selbst. Und parallel zur Arbeit an der ruhig inszenierten, kammerspielartigen Geschichte um eine viel beschäftigte Wissenschaftlerin, deren Leben nach und nach aus den Fugen gerät, beginnt Randl 2007 ein Projekt, das sich inzwischen zu einer Serie ausgeweitet hat und ihr in der Kurzfilmszene einen gewissen Kultfaktor verschafft hat.

Gemeinsam mit dem österreichischen Schauspieler Rainer Egger entwickelt sie die Figur des liebenswerten, aber latent psychotischen Charakters Karpf, der allein in seiner Wohnung herumtigert und sich selbst in kürzester Zeit vom kerngesunden Müßiggänger zum chronisch kranken Pflegefall phantasiert. „Die Leiden des Herrn Karpf – Morbus Bechterew“ (2007) wurde schnell zu einem Liebling der Kurzfilmszene, lief auf einer Reihe von Festivals und gewann den BMW-Kurzfilmpreis der Regensburger Kurzfilmwoche. Wie so oft bei Kultfilmen war das Rezept auch hier denkbar einfach: ein Mann, seine Wohnung und eine Kamera. Seit dem Erstlingsfilm im Jahr 2007 entstanden noch zwei weitere Folgen: „Die Leiden des Herrn Karpf – Der Besuch“ (2008) und „Die Leiden des Herrn Karpf – Der Geburtstag“ (2009), die jeweils auf diversen Festivals liefen und teilweise auch im Fernsehen ausgestrahlt wurden.

Randl und Egger statten Herrn Karpf mit all dem aus, was einen postmodernen Einsiedler klassisch österreichischer Provenienz so ausmacht: einem sehr hohen gefühlten Grad an Selbstreflexion, der allerdings keineswegs mit der tatsächlichen Einsicht in die eigenen Schwächen einhergeht, einem ausgesprochen gesunden Selbstbewusstsein, dass sich auch nicht durch offensichtliche Ablehnung von Außen aus der Ruhe bringen lässt und der Fähigkeit zu nicht enden wollenden Selbstgesprächen, die kein Gegenüber brauchen.
Für ihre gemeinsamen Arbeiten richten sich Randl und Egger nicht nach ausformulierten Drehbüchern, sondern sie begeben sich gemeinsam in eine filmische Situation, in der Dokumentarisches und Fiktionales verschmelzen. Vorgegeben wird ein bestimmtes Thema, das – zumindest für einen Sonderling wie Herrn Karpf – ein bestimmtes Konfliktpotential birgt, wie z.B. ein zu erwartender Damenbesuch. Aus solchen an sich vollkommen harmlosen, alltäglichen Situationen entwickelt Herr Karpf in kürzester Zeit den Stoff für existentielle Dramen.
Damit hat er sich beim Publikum inzwischen eine veritable Fangemeinde erarbeitet. Und auch Lola Randl selbst schätzt es inzwischen sehr „zu einer Figur zurückkehren zu können.“
Sie betont: „Die Arbeit mit Herrn Karpf, das ist für mich schon ein bisschen so, wie nach Hause kommen. Darüber hinaus haben sich die Leiden des Herrn Karpf inzwischen auch ökonomisch zu einem Selbstläufer entwickelt. Ganz anders als viele Leute über den Kurzfilm denken, ist das Verhältnis zwischen kreativem und finanziellem Aufwand und dem, was ein Film einbringt, bei den Karpf-Filmen inzwischen ganz vorzüglich. Das liegt natürlich auch daran, dass die Reihe relativ billig zu produzieren ist, aber die Beachtung, die wir mit diesen Arbeiten erzielt haben, ist doch beträchtlich“, freut sich die Regisseurin.

Auch wenn sie momentan durch die Arbeit am Buch ihres nächsten Langfilms ausgelastet ist, steht es doch außer Frage, dass Herr Karpf auch in Zukunft noch einige Probleme zu durchleiden haben wird. Für Lola Randl steht fest, dass sie nicht nur ihrem altgedienten Protagonisten, sondern auch dem Kurzfilm als Genre trotz oder gerade wegen ihrer Erfahrungen im Spielfilmbereich auch weiterhin die Treue halten wird.

„Gerade für jemanden wie mich, der immer genau das will, was er gerade nicht hat, ist so eine Arbeitsweise ideal. Diese Erfahrung des Anderen, also die Kombination von Schreiben und Regieführen, von Kurzfilm und Langfilm, die erlaubt es mir erst so richtig, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, ohne zu denken, dass ich gerade das Allerwichtigste verpasse.“

Luc-Carolin Ziemann

Filmographie

„¢ 2001: Vom Bett aus bedacht
„¢ 2003: Geh aus mein Herz
„¢ 2004: Nachmittagsprogramm
„¢ 2006: Wohlfühlwochenende
„¢ 2006: Verena Verona
„¢ 2007: Die Leiden des Herrn Karpf – Morbus Bechterew
„¢ 2008: Die Leiden des Herrn Karpf – Der Besuch
„¢ 2008: Die Leiden des Herrn Karpf – Der Geburtstag
„¢ 2008: Die Besucherin (Spielfilm)

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