Izabela Plucińska

Porträt
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SEXY LAUNDRY © claytraces.com

Izabela Plucińska formt aus Knetmasse detailreiche, magische und doch stets bodenständig wirkende Welten, die in Kurz-Animationsfilmen auf der Leinwand lebendig werden und als fantasievolle Schöpfungen zu begeistern wissen. Ihre kinematografischen Werke lassen sich dem Bereich Claymation zuordnen. Die Ausnahmekünstlerin und renommierte Filmemacherin aus Polen wohnt und arbeitet in Berlin.

 

Plucińska wurde am 6. Oktober 1974 in Koszalin geboren. Als sie begann, an der Kunstakademie in Łódź Textildesign zu studieren, erwies sich das Fach Skulpturen als ihr Lieblingsunterricht; gleichwohl regte sich in ihr der Wunsch, filmisch zu erzählen – weshalb sie sich zu einem parallelen Studium an der Staatlichen Hochschule für Film, Fernsehen und Theater in Łódź entschloss. Im dortigen Animationsstudiengang entdeckte sie rasch die flexible Knetmasse als ihr bevorzugtes Arbeitsmaterial. Nach erfolgreicher Absolvierung ihres Doppelstudiums erhielt Plucińska 2003 ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und konnte so ein Animationsstudium an der heutigen „Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf“ antreten, welches sie im darauffolgenden Jahr mit dem Film Jam Session abschloss. Die Entstehung des Films wurde durch das Nipkow-Programm ermöglicht. Ihr neuneinhalbminütiges Werk machte alsbald in der internationalen Festivallandschaft Furore: Zu den zahlreichen Preisen, die Jam Session gewann, gehören der Silberne Bär im Kurzfilmwettbewerb der 55. Internationalen Filmfestspiele Berlin sowie die Silberne Taube für den „Besten Animationsfilm“ beim Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm (DOK Leipzig) im Jahre 2005.

 

Mit ihrer ehemaligen Kommilitonin Jamila Wenske gründete Plucińska 2006 die Produktionsfirma ClayTraces in Berlin; seit 2010 ist der Produzent Robert Kern ihr Geschäftspartner. Sie selbst ist bei ihren Projekten als Produzentin aktiv und setzt sich für die Finanzierung ein, welche bis dato mal durch deutsche, mal durch polnische oder erst kürzlich auch durch kanadische Fördermittel ermöglicht wurde. Als Verantwortliche für das Art-Design zählen Agata Rojek und Yann Jouette zum engeren kreativen Kreis von Plucińska. Die bisherigen filmischen Resultate der intensiven (Zusammen-)Arbeit liefen mit anhaltend großem Erfolg auf etlichen Festivals – beispielsweise dem Filmfest Dresden, dem französischen Festival d’Animation Annecy, dem Internationalen Filmfestival Warschau sowie in Japan, Kanada, Bosnien und Herzegowina, Großbritannien und Mexiko. Neben ihrer kontinuierlichen Tätigkeit als Filmemacherin leitet Plucińska des Öfteren Animationsfilm-Workshops – etwa in Deutschland, Österreich und Georgien. Aus einem zusammen mit Yann Jouette geführten Workshop am Kwetu Film Institute in der ruandischen Hauptstadt Kigali ging das animierte Musikvideo Dimba Hasi hervor. Auf Festivals ist Plucińska zudem in urteilender Funktion tätig: So bildete sie 2013 gemeinsam mit dem Creative Producer René Frotscher und dem Schauspieler Sebastian Urzendowsky die nationale Jury auf dem 25. Filmfest Dresden.

 

Betrachtet man das bisherige Œuvre Plucińskas, lässt sich schnell feststellen, dass die Filmemacherin in ihren Werken ein ausgeprägtes Interesse an der Kombination poetischer und realistischer Elemente zeigt. Dies ist bereits in ihren ersten Filmen spürbar, welche im Laufe ihrer Studienzeit entstanden. Während die auditive Gestaltung vergleichsweise wirklichkeitsnah wirkt, erzeugt Plucińska auf visueller Ebene traumhaft anmutende filmische Räume: In mühevoller Handarbeit stellt sie mit Knetmasse reliefartige Bilder her, in deren Stop-Motion-Animation es zu fließenden Übergängen von Formen und Farben kommt. Ebenso setzt Plucińska in der Narration auf eine Verschmelzung von Realismus und Poesie, da sich die fantastischen, kleinen Geschichten der Filme stets in Settings entspinnen, die gewisse Bezüge zur Wirklichkeit aufweisen.

 

In Hinterhof – gedreht im Jahre 1999 – entwirft Plucińska eine urbane Hinterhofszenerie, die in starkem Seitenlicht eingefangen wird. Die Regisseurin nutzt ihre Knettechnik, um in der kurzen Lauflänge von zweieinhalb Minuten einen permanenten Prozess der Transformation zu präsentieren. Die Gestalten, die sich hier aufhalten, verwandeln sich in Gegenstände – eine Mülltonne, ein Waschbecken oder ein auf der Leine hängendes und im Wind wehendes Wäschestück –, und auch die Häuserfassade durchläuft eine Metamorphose. Das Thema der Verwandlung nimmt Plucińska in dem im darauffolgenden Jahr realisierten Doppelgänger auf, welcher abermals in städtischer Umgebung beginnt. Sie verquickt dieses Thema darin mit dem bekannten Motiv des bedrohlichen Doppelgängers: Ein älterer Mann wird von seinem Schatten bis in seine Wohnung hinein verfolgt und dort mit ihm konfrontiert; letztlich nimmt der Schatten den Mann in sich auf. Plucińska hebt sowohl in Hinterhof als auch in Doppelgänger das Handwerklich-„Gemachte“ ihrer Arbeit hervor, indem beispielsweise auf den Figuren und den Hintergründen deutliche Fingerabdrücke sichtbar sind. Die fließenden Farben erzeugen eine zauberische Atmosphäre, indessen die Geräusche, die neben der Musik zu hören sind – etwa die Schritte einer Gestalt oder das Rascheln von Zeitungspapier –, den beiden Claymation-Kurzfilmen einen Hauch von Realismus verleihen.

 

Während Hinterhof durch seinen Schauplatz und Doppelgänger durch die Darstellung einer Beschattung (im wörtlichen wie im übertragenen Sinne) über Merkmale des Kriminalfilms verfügen, wendet sich Plucińska in ihrem Viereinhalb-Minuten-Werk Auf der anderen Seite (2002) einem Sujet zu, welches sich als Leitmotiv ihres gesamten weiteren Schaffens begreifen lässt: der Liebe. Ein einsamer Fotograf entdämmert in seinem Atelier und träumt sich in die Geschehnisse hinein, die auf den Fotografien an seiner Bilderwand zu sehen sind. So landet er auf einer fröhlichen Hochzeitsfeier sowie in einer geselligen Runde auf der Fernsehcouch, ehe er sich an eine Frau erinnert, die einst mit ihren beiden Kindern in seine bescheidene Arbeitsstätte kam, um Bilder anfertigen zu lassen. Die Möglichkeit eines familiären Glücks wird von dem Protagonisten herbeigesehnt. In der Umsetzung dieses Moments demonstriert Plucińska, wie auf einem aus Knetmasse entstandenen Gesicht tief empfundene Emotionen höchst eindringlich vermittelt werden können.

 

Für ihren universitären Abschlussfilm Jam Session adaptierte Plucińska zusammen mit Justyna Celeda das gleichnamige Stück von Maciej Zenon Bordowicz. Sie zeigt darin ein älteres Ehepaar, das schlaflos im Doppelbett liegt. Da sich die Wohnung der beiden über einem Jazzclub befindet, in welchem pünktlich um Mitternacht eine Band zu spielen beginnt, ist an Nachtruhe nicht zu denken. Der Mann widmet sich deshalb dem tropfenden Wasserhahn im Badezimmer sowie der Zeitung; die Frau kocht Tee, wirft sich jedoch zuvor in ihr schickes, rotes Kleid aus vergangenen, leidenschaftlicheren Tagen. Als die Wände in der Wohnung des Paares zu beben anfangen, fällt eine Schachtel mit Bildern zu Boden – und wie schon in Auf der anderen Seite erwachen die Fotografien zum Leben. So wird die eben noch völlig triste Behausung zu einem Ort der wiederentdeckten Lust am Tanzen, an der Nähe und Zweisamkeit. Dieser Augenblick der gemeinsamen Erkenntnis, welcher durch einen Zufall hervorgerufen wird und einen Weg aus der gegenseitigen Entfremdung ermöglicht, könnte als typischer Plucińska-Moment bezeichnet werden, weil ein solcher Augenblick zum Beispiel auch in Breakfast (2006) und Afternoon (2012) sowie, in ähnlicher Form, in Sex für Lustlose (2015) anzutreffen ist. Bemerkenswert ist überdies die Passage aus Jam Session, in welcher sich der Mann und die Frau im Türrahmen aneinander vorbeizwängen müssen: Das Weiß und Grau seines Unterhemdes und seiner Schlafanzughose und das Gelb ihres Unterkleides vermischen sich beim ungewollt-engen Körperkontakt miteinander und hinterlassen auf der Kleidung beider Figuren Spuren („ClayTraces“!), die von diesen entnervt weggewischt werden. Plucińska setzt hier ihr Arbeitsmaterial ein, um die Beziehung des Ehepaares zu charakterisieren.

 

In Breakfast, der für das polnische Fernsehen entwickelt wurde, ereignet sich der „Plucińska-Moment“ am Frühstückstisch, an dem sich Mann und Frau zunächst kaum wahrnehmen – bis ein heftiger Windstoß eine unverhoffte Annäherung bewirkt. Mit schwarzen Umrissfiguren vor einem sonnenblumengelben Knetmasse-Hintergrund, auf welchem im Laufe des Films Fensterrahmen, Möbelstücke, eine Zeitung sowie Küchenutensilien entstehen, kreiert Plucińska eine eheliche Alltagsszene, die in Zärtlichkeit mündet. Das Werk wurde 2008 auf dem Hiroshima International Animation Festival mit dem Renzo Kinoshita Prize ausgezeichnet – für seine magische Nutzung von Animation in der Beobachtung eines Lebensmoments. Ebenso führt in Afternoon eine überraschende Durchbrechung der Routine zum Glücksmoment zwischen einem Paar – wobei das Geschehen in diesem Fall ins Fantastische übergeht, da Plucińska spielerisch-experimentell mit den schwarzen Umrisslinien der Figuren verfährt.

 

Durch eine Wendung zum Poetisch-Fantastischen sind auch Marathon und 7 More Minutes (beide aus dem Jahr 2008) gekennzeichnet. Ersterer ist eine Regie-Zusammenarbeit mit der slowenischen Filmemacherin Špela Čadež. Das Drehbuch, welches Plucińska gemeinsam mit Justyna Celeda verfasste, schildert einen Marathonlauf in einer kleinen Stadt, der durch abrupt aufkommenden, dichten Nebel und Wind erheblich erschwert wird und eine absolute Desorientierung der teilnehmenden Läuferinnen und Läufer verursacht. Wie in Jam Session und auch in 7 More Minutes sowie in Sex für Lustlose sind die Figuren als Typen abseits von Schönheitsidealen entworfen. Das Fantastische kommt hier im plötzlichen Schwebezustand der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Ausdruck. In 7 More Minutes, welcher ebenfalls von Celeda mitgeschrieben wurde, wird ein Ort geschaffen, der sich als Übergang ins Jenseits interpretieren lässt: Vier Personen finden sich nach einem Zugunglück an einem idyllischen Strand wieder; allmählich beginnen sie damit, sich zu entkleiden, ehe sie sich ins Meer begeben und darin verschwinden.

 

Mit ihren Arbeiten beweist Plucińska, dass sich komplexe Themen wie Liebe und Isolation, Identitätssuche und Coming of Age oder Krankheit und Tod adäquat in Claymation-Filmen behandeln lassen – und dass die Übertragung von Stoffen, etwa aus dem Bereich der Literatur, eine echte Bereicherung bedeuten kann. Für ihr bis dato längstes Projekt – den vielfach prämierten 25-Minüter Esterhazy (2009) – adaptierte Plucińska gemeinsam mit Anna Jadowska den gleichnamigen Kinderbuchklassiker von Irene Dische und Hans Magnus Enzensberger. Die Abenteuer eines jungen Hasen aus einer Adelsfamilie, der 1989 von Wien nach Berlin reist, um dort eine geeignete Gattin zu finden, werden mit dem historischen Ereignis des Mauerfalls verknüpft, das auf diese Weise aus einer völlig neuen Perspektive betrachtet werden kann. In Josette und ihr Papa (2010) setzte Plucińska mit einem kleinen Team ihre Adaption der Eugène-Ionesco-Geschichte gleichen Titels um. Die Absurdität, die der französisch-rumänische Autor in seinem Text transportiert, schlägt sich in der Verfilmung in den verzerrten Kulissen nieder sowie in dem farbenfrohen Durcheinander, in welchem sich die häusliche Suche des Mädchens nach ihrem Vater zuträgt. Liebling (2013) – eine erneute Drehbuch-Zusammenarbeit mit Justyna Celeda – wurde von Maria Wojtyszkos Theaterstück Uterus inspiriert. In den Bildern taucht Plucińska tief in die Gedankenwelt ihrer Hauptfigur ein, die an Gedächtnisverlust leidet und sich deshalb in ihrem eigenen Zuhause wie eine Gefangene fühlt. In dem Film verwendet Plucińska ihre Technik, um den aus der Krankheit resultierenden Zerfall von allem, was man liebt, zu veranschaulichen. In der kinematografischen Theaterstückadaption Sex für Lustlose erweist sich die Knetmasse hingegen als effektive Methode, um die Tragikomik und Skurrilität des erotischen Kammerspiels noch zu steigern. Abermals lässt Plucińska darin ein verheiratetes Paar seine Gefühle füreinander neu entdecken – indem es in einem Hotelzimmer ein bisschen „unanständig“ wird. Wie in all ihren Filmen gelingt es Plucińska hier, mit Liebe zum Detail einen einnehmenden kleinen Kosmos zu schaffen – und damit „ClayTraces“ in unseren Herzen zu hinterlassen.