Hanna Nordholt & Fritz Steingrobe

Porträt

„Wir machen Filmforschung“

YO LO VI © Hanna Nordholt/Fritz Steingrobe

YO LO VI © Hanna Nordholt/Fritz Steingrobe

In unserer ersten Ausgabe von „Promotion“ stellen wir zwei der Ambitioniertesten und mittlerweile auch bekanntesten Kurzfilmer Deutschlands vor: Hanna Nordholt und Fritz Steingrobe.

Seit knapp 20 Jahren drehen die beiden Hamburger Kurzfilme. Angefangen hat es 1984, da haben sie das erste Mal mit einer Super 8 Kamera hantiert und einen Trickfilm mit Bildserien aus einem Tanzschulbuch gemacht. Inspiration  schöpften sie nicht nur aus dem Umfeld der Hamburger Experimentalfilmszene, zu deren erfolgreichen Nachfolgern sie mittlerweile gehören. Wichtig für sie war die Erfahrung, was andere machten, und die erhält man am Besten im Kino: „Unser Lieblingskino war das „Alabama“ am westlichen Stadtrand von Hamburg. Da gab es ein Mal im Monat einen Abend, an dem erst eine Garagen Band spielte und danach ein randständiger Film wie „Texas Chainsaw Massacre“ oder Underground-Perlen wie die frühen Filme von John Waters liefen. Der Enthusiasmus der Freunde von John Waters hat uns ziemlich begeistert. Wir haben Trash- und Trickfilme gemacht und nach 2-3 Jahren von den Experimentalfilmern „Schmelz Dahin“ das Filme entwickeln gelernt und waren so fast völlig autark, also ohne Kopierwerke, Labore etc.“

Früh entschieden sich Nordholt und Steingrobe für den Animationsfilm als das bevorzugte Ausdrucksmedium für ihre künstlerischen Ambitionen. Gefundenes Ton- und Bildmaterial verknüpfen sie mit eigenen 2-D und 3-D Animationen, mittlerweile kommen auch Computeranimationen zum Einsatz. 3. Das Vorantasten „Frame by Frame“ stellt sie nahe des Experimentalfilms, doch Vorbilder finden sich auch in der Wissenschaft und der militärisch-industriellen Forschung –  Prozesse in Einzelbilder zu zerlegen um daraus Erkenntnisse zu gewinnen. „Wir mögen wissenschaftliche Filme, lieben  Experimentalfilme und sitzen wahrscheinlich zwischen allen Stühlen. Wir machen Filmforschung.“

Ihre Filme bedienen nur selten klassische Erzählstrukturen, sondern gehen vor allem assoziativ vor, sie verweben verschiedene (Sinn-) Ebenen und eröffnen dabei ungewohnte Perspektiven auf komplexe Zusammenhänge. Mit einer beeindruckenden Balance zwischen Spiel und Ernsthaftigkeit servieren sie die Verknüpfungen von Kunst, Gesellschaft und Politik. Ihre Bezugsquellen finden sich sowohl in der Literatur, beispielsweise bei William S. Burroughs oder Thomas Pynchon als auch in der modernen Kulturphilosophie bei Paul Virilio oder Friedrich Kittler.

Auf der internationalen Festivalebene sind Nordholt / Steingrobe bereits seit mehreren Jahren oft vertretene Gäste. Ein großer Erfolg war beispielsweise der von Paul Virilios Essay „Krieg und Kino“ inspirierte 16mm-Film „Das dritte Fenster“. Der Film, der anhand der Auswertung von Eidechsenbildern die parallele Entwicklung von Kinomaschinerie und Militärtechnik erzählt, lief in den Wettbewerben zahlreicher renommierter Animations- und Kurzfilmfestivals. Und es war zugleich ihr erster, zumindest teilweise am Computer entstandene Film. So wurden am Schluss alle im Computer erstellten Bilder ausgedruckt und mit einer Bolex auf einem Leuchttisch abgeknipst.

Ihr letzter Film „Yo Lo Vi“ ist allerdings das bisher aufwendigste Werk der beiden Filmemacher.  In einer Collage aus Filmzitaten, verschiedensten Animationstechniken, Symbolen und Werken Francisco de Goyas wagen sie eine außergewöhnliche Annäherung an das grafische Werk des spanischen Malers.

Trotz des immensen Aufwands eines Films wie „Yo Lo Vi“ arbeiten Hanna Nordholt und Fritz Steingrobe weitgehend autonom und entwickeln ihre Filme von der Idee über die Animationen bis hin zur Postproduktion weitgehend selbst. „Am Anfang gab es eine größere Filmergruppe aber über die Jahre blieben nur wir übrig. Unsere Filme entstehen jetzt unter sehr intimen oder mönchischen Bedingungen, die man kaum anderen zumuten könnte. Wir wollen jetzt wieder mit einem Tonspezialisten kooperieren und sind schon sehr gespannt darauf. Wir produzieren unsere Filme selbst um den Überblick zu behalten.“

Doch während Deutschlands Autoren- und Experimentalfilmer immer stärker auch auf museale Kontexte setzen, lassen Nordholt / Steingrobe seit Beginn ihre Filme im Festivalumfeld für sich sprechen. „Yo Lo Vi“ beispielsweise wurde auf insgesamt mehr als 50 Kurzfilmfestivals gezeigt, zu denen die beiden Filmemacher auch häufig reisen. Festivals sind, so sagen sie selbst, die wichtigste Inspirationsquelle ihrer Arbeit: „Fast alles, was wir über Filme wissen, haben wir auf Festivals gelernt.“

Das internationale Festivalrenommee hat im letzten Jahr schließlich auch im eigenen Lande Früchte getragen. „Yo Lo Vi“ wurde 2003 für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert. Und das nächste Projekt kündigt sich bereits an: Nach dem erfolgreichen YO LO VI haben Hanna Nordholt und Fritz Steingrobe mit DREI GRAZIEN (50.000 €) ein neues experimentelles Kurzfilmprojekt in Produktion. Darin geht es, wie sie ausdrücken, „um Mensch-Maschine-Kopplungen und darum,wie sich diese Verbingungen auf die schöpferischen Prozesse und den künstlerischen Output im 20sten Jahrhundert ausgewirkt haben.“ So was nennt man Kontinuität.

Filmografie

  • 21-Neue Botschaften auf der Delta-Frequenz Super 8, 1984, 8min.
  • Die Konsequenz in der Herrenmode Super 8, 1985, 5min.
  • Wahlkreis 209 Super 8, 1987, 4min,
  • Bi Mekaar Super 8, 1988, 5min.
  • Situation Normal Super 8, 1988, 6min.
  • Interview  Super 8+35mm, 1989, 4min.
  • Bei Ruth  Super 8, 1989, 8min.
  • Möchte jemand einen Keks? Super 8+35mm, 1990, 4min.
  • Gloria  Super 8, 1990, 8min.
  • Radio Radio  Super 8, 1991, 6min.
  • Headquarter  Super 8+16mm, 1992, 14min.
  • Schraube  Super 8, 1993, 7min.
  • Prawda  Super 8, 1993, 6min.
  • 350 Z  35mm, 1994, 1min.
  • Das dritte Fenster 16mm, 1997, 17min.
  • Turtle Funk  Beta SP, 1998, 4min.
  • Love Bugs  Beta SP, 1999, 4min.
  • Netrats  Beta SP, 2001, 5min.
  • Pa Tak  Mini DV, 2002, 4min.
  • Yo Lo Vi 16+35mm, 2003, 15min.
  • Drei Grazien (in Produktion)

s. auch: www.hannafritz.de

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