Rückblick auf die Kurzfilmpreisträger 2017 – eine kleine Auswertung

Erfolgreicher Dokumentarfilm „The Rabbit Hunt“ (USA 2017) ©Patrick Bresnan & Ivete Lucas

Ausgehend von dem Eindruck, dass weltweit eine Hand voll Kurzfilme die meisten Preise und Auszeichnungen erhält, veröffentlichen wir an dieser Stelle jedes Jahr einen Rückblick auf die Preisträger des Vorjahres. Durch eine Auswertung der in unserer Rubrik „Auszeichnungen“ registrierten Preisträger ist es möglich diesen subjektiven Eindruck durch objektive Zahlen zu quantifizieren. Dies wiederholen wir nun in einem Rückblick auf das Jahr 2017.

 

Durch die Auswertung entsteht zwangsläufig eine Art Film-Hitparade. Ein solches Ranking kann selbstverständlich nicht zur Beurteilung der künstlerischen Qualität von Filmen herangezogen werden, gibt aber Auskunft über ihre Beliebtheit gemessen an Voten von Fachjurys und in Publikumsabstimmungen. Letztlich sind dies Marktdaten. Der Umstand der Preisakkumulation lässt sich schwerlich als Ausdruck objektiver Qualitätsurteile interpretieren.

 

Indirekt lassen sich dabei auch andere Erkenntnisse gewinnen, wie zum Beispiel Rückschlüsse auf das Produktionsvolumen einzelner Länder. Insbesondere misst die Auswertung auch den Erfolg der Kurzfilmproduktion eines Filmlandes im Vergleich zu anderen.

 

 

Die Untersuchungsbasis

 

Ausgewertet wurden alle Auszeichnungen und Preise, die für die Rubrik „Auszeichnungen“ auf shortfilm.de im Jahr 2017 registriert wurden. Dies waren im vergangenen Jahr etwas mehr als 1700 Nennungen. Selbstverständlich sind nicht alle Preise und Auszeichnungen, die weltweit irgendwo Kurzfilmen verliehen wurden, aufgezeichnet.

 

Registriert wurden nur die größeren Kurzfilmfestivals mit internationalen Wettbewerben. Ausschließlich nationale oder regionale Veranstaltungen blieben unberücksichtigt. Nationale Filmpreise, wie in Deutschland der Deutsche Kurzfilmpreis oder in Frankreich die Césars wurden jedoch erfasst.
 Insgesamt wurden Veranstalter in knapp 60 Ländern erfasst.

 

In der Regel wurden nur die Hauptpreise registriert. Nur bei großen Festivals wurden auch lobende Erwähnungen berücksichtigt. Auch werden, mit Ausnahme bedeutender internationaler Langfilmfestivals mit Kurzfilmwettbewerben – wie Cannes, Berlin oder Sundance – nur Auszeichnungen auf Kurzfilmfestivals berücksichtigt.

 

Insgesamt lagen Jury-Entscheidungen von 312 Festivals und Wettbewerben vor – 66 davon in Deutschland. Wegen unseres eigenen geografischen Standorts sind deutsche, aber auch europäische Festivals und Wettbewerbe überrepräsentiert. Jedoch sind Kurzfilmländer aller Kontinente und Weltregionen berücksichtigt.

 

 

Starke Produktionsländer



 

Die mit deutlichem Abstand größte Zahl registrierter Auszeichnungen im Jahr 2017 entfiel auf Filme aus den Ländern Deutschland (199 Preise), Frankreich (173), USA (140), Großbritannien (84), Spanien (72) und Polen (59). In diesen Zahlen sind Koproduktionen nicht enthalten.

Diagramm: Länderanteile an Preisen in % (Top 6 Herkunftsländer)

Die Länder an der Spitze und die Zahl der Preise änderten sich in den letzten Jahren kaum – von 2016 bis 2017 blieb sogar die Reihenfolge des Erfolgs die gleiche. Bei den absoluten Zahlen fällt lediglich auf, das die USA aufgeholt haben (2016 100 Preisträger) und britische Filme etwas weniger Preise als im Vorjahr erhielten. Von der Gesamtsumme der Auszeichnungen entfielen etwa die Hälfte auf Filme aus nur neun Ländern.

Unter den kleineren Ländern – bezogen auf Einwohnerzahlen – waren 2017 insbesondere Filme aus der Schweiz, Belgien, Schweden und Portugal erfolgreich. Manchmal sind es einzelne Filme, die ein Land kurzfristig nach oben befördern. So war 2017 Polen unter den ersten Zehn, weil CIPKA (PUSSY) von Renata Gasiorowska weltweit besonders viele Preise erhielt.

Ähnliche Effekte sind aber auch in Ländern mit höherem Produktionsvolumen zu bemerken. Wie zum Beispiel THE RABBIT HUNT von Patrick Bresnan zu Gunsten der USA.

 

Die Herkunftszahlen der Preisträger reflektieren nicht nur das Produktionsvolumen an Kurzfilmen, sondern hängen auch von der Zahl der Festivals im betreffenden Land ab. Denn, insofern einheimische Filme größere Chancen auf Auszeichnungen im eigenen Land haben, hängt die Zahl preisgekrönter Filme auch von der Festivaldichte ab. Beispiele hierfür sind Deutschland, Spanien und die USA, also Länder mit einer Vielzahl an Kurzfilmfestivals, auf denen in der Regel einheimische Filme bessere Chancen auf Preise haben als ausländische.

 

Interessant sind auch die Zahlen über Auslandserfolge. Hier ergibt sich folgendes Bild (bei eingerechneten Koproduktionen): am erfolgreichsten im Ausland waren 2017 Filme aus Frankreich (100 Auszeichnungen), die USA (63), Deutschland (54), Großbritannien (43) und Belgien (30). Im Vergleich zu 2016 sind erneut Filme aus Frankreich international am erfolgreichsten. US-amerikanische Filme haben besser und britische Filme schlechter abgeschnitten als zuvor (2016 34 bzw. 65 Preise im Ausland).

Zahl der Preise im Ausland der 5 erfolgreichsten Produktionsländer

Unter den Ländern, die keine so ausgeprägte eigene Kurzfilmfestivalstruktur wie Deutschland, Frankreich oder Spanien haben, fallen – wie zuvor – die Niederlande mit überproportionalen Erfolgen auf. Zu den Erfolgsfilmen im Ausland gehörten GREEN SCREEN GRINGO von Douwe Dijkstra und IMPORT von Ena Sendijarevic.

 

 

Inland- vs. Auslandserfolge



 

Im vergangenen Jahren erhielten im jeweils eigenen Land Filme aus Italien, Brasilien und Spanien deutlich mehr Preise als im Ausland. Im Übrigen gab es, abgesehen von Ländern ohne oder mit nur wenigen Kurzfilmfestivals, keine große Schere zwischen In- und Auslandserfolgen.

Für Filme aus Deutschland registrierten wir mehr Preise im In- als im Ausland. Dies ist aber ein Sonderfall, da die Preise kleinerer deutscher Festivals mit geringer internationaler Beteiligung mitgezählt wurden. Deutsche Kurzfilme holten 2017 im eigenen Land 145 (2016: 138) Preise und im Ausland bei fallender Tendenz (2016: 58; 2015: 91) 54 Preise – jedoch inklusive Koproduktionen (WATU WOTE, Katja Benrath, D/Kenia!) insgesamt 79 Preise im Ausland.

 

Umgekehrt waren insbesondere Filme aus den Niederlanden (82% aller Preise) und Polen (76%) im Ausland deutlich erfolgreicher als im eigenen Land. 
In den Niederlanden wegen der relativ wenigen Kurzfilmfestivals und in Polen wegen eines Sondereffekts (CIPKA, siehe unten).

Zu den Ländern ohne ausgeprägter Kurzfilmfestival-Landschaft, die mit ihren Filmen fast ausschließlich im Ausland erfolgreich sind zählen Russland (100% Auslandspreise) und China (90,5%).

 

 

Die beliebtesten Produktionsländer in Deutschland



 

In Deutschland waren im Jahr 2017 am erfolgreichsten Filme aus Frankreich (12 Preise), aus Großbritannien (12 Preise) sowie der Schweiz und den USA (je 8).

Damit wurde ein langfristiger Trend bestätigt. Zum dritten Mal in Folge waren französische Filme in Deutschland am beliebtesten – gefolgt von britischen Produktionen. Filme aus den USA holten gegenüber den Vorjahren mit absteigender Tendenz (2016 3 Preise) 2017 stark auf.

 

 

Ländervorlieben anderswo



 

Französische Filme erhielten in Deutschland und Italien (12), den USA (7) und in Spanien und der Schweiz (5) die meisten Auslandspreise.

 

Britische Filme waren – wie bereits seit 2013 – besonders erfolgreich in Deutschland (12 Preise), USA (6) und in Frankreich (4). Auffällig ist, dass deutsche Filme in Großbritannien bislang umgekehrt auf keine Gegenliebe stießen, aber mit 3 Preisen etwas aufholten (2016 nur 1 Preis).

 

Filme aus den USA erhielten breit gestreut in vielen Ländern Preise, jedoch die meisten in Großbritannien (9) und Deutschland (8).

 

Spanische Filme erhielten in Frankreich (7) und Italien (4) die meisten Auslandspreise.

 

Filme aus südamerikanischen Ländern erhielten auf dem eigenen Kontinent die meisten Preise und außerhalb nur in Spanien eine nennenswerte Zahl.

 

Filme aus nordischen Ländern erhielten, außerhalb der eigenen Region, in Frankreich (8), Deutschland (7) und den USA (5) die meisten Preise.

 

Deutsche Filme waren 2017 in den Ländern Spanien (7), USA (6) sowie Frankreich und Österreich am erfolgreichsten.

 

 

Internationalität von Jury-Entscheidungen



 

2017 wurden in Österreich, Italien, Japan und Polen jeweils mehr als die Hälfte der Auszeichnungen an ausländische Filme vergeben. In Deutschland wurden knapp mehr als die Hälfte aller vergebenen Preise an ausländische Filme verliehen, während in den Jahren zuvor deutsche Filme den Vorrang hatten.

 

Wie zuvor wurden auch in Spanien und den USA wieder mehr Preise an einheimische als an ausländische Filme vergeben.

 

Die größte Bandbreite an vertretenen Ländern unter den Preisträgern hatten die Wettbewerbe und Festivals in Deutschland (45 verschiedene Länder) und die USA (34), gefolgt von den Frankreich (30), Spanien (29) und Italien (29). Dies ist bis auf einen Platztausch zwischen den USA und Frankreich die selbe Reihenfolge wie 2015 und 2016.

 

Die Preisträger kommen aus 88 verschiedenen Herkunftsländern. Die Tendenz einer größeren Internationalisierung der letzten 10 Jahre stagniert inzwischen. 2016 waren es ebenfalls 88 und 2015 84 Herkunftsländer.

 

 

Die international erfolgreichsten Filme des Jahres

 

Der Film, der 2016 mit Abstand der erfolgreichste Kurzfilm des Jahres war, der Spielfilm TIMECODE von Juanjo Gimenez (ES), war auch 2017 noch unter den Top Ten. Die mit großem Abstand meisten Auszeichnungen erhielten 2017 jedoch zwei andere, sehr unterschiedliche Filme, denen nur gemeinsam ist, dass sie an Filmschulen entstanden sind: CIPKA (Pussy) und WATU WOTE (All of Us).

 

In dem Zeichentrickfilm CIPKA (Pussy) von Renata Gasiorowska aus Polen wird eine junge Frau in der Badewanne so oft beim Masturbieren gestört – unter anderem spielt ein voyeuristischer Nachbar eine Rolle – dass ihre Pussy davon hüpft und wie ein entlaufenes Haustier wieder eingefangen werden muss, damit es zum Happy Ending kommt. Der Film der noch jungen Regisseurin, die ihn auch selbst zeichnete, entstand 2016 im 5. Studienjahr an der Lodz Film School PWSFTviT. Die Verbreitung, die diesem Film international zuteil wurde, ist enorm. Die offizielle Website Polish Shorts listet von September 2016 bis März 2018 fast 400 Festivalteilnahmen auf – übrigens nur 5 davon in Polen. Die erste Auszeichnung erhielt CIPKA beim Lagofest in Italien (Special Mention) und in Deutschland bei DOK Leipzig 2016 (Publikumspreis). Laut Polish Shorts erhielt der Film in seinem Heimatland bislang nur einen einzigen Preis (3. Preis im Studentenwettbewerb von O!PLA).

In Deutschland und Frankreich ist CIPKA übrigens noch bis 1.April 2018 bei ARTE online zu sehen.

 

Gleich erfolgreich (‚ex aequo‘) war die deutsch-kenianische Produktion WATU WOTE (2016/17). Die Handlung des 23minütigen Spielfilms von Katja Benrath (Regie) bezieht sich auf wahre Begebenheiten in Kenia: Auf einer Fahrt in Kenias Norden wurde ein Reisebus von der islamischen Gruppe al-Shabaab überfallen. Sie forderten von den Passagieren unter Waffengewalt die Auslieferung christlicher Mitreisender. Doch diese verkleideten eine Christin und riskierten ihr Leben, indem sie sich weigerten, sie preiszugeben. Der Abschlussfilm von Katja Benrath (Regie) an der Hamburg Media School mit einer universellen Botschaft der Nächstenliebe und religiöser Toleranz wurde in Kenia gemeinsam mit einer kenianischen Crew gedreht. WATU WOTE erhielt unter anderem eine Auszeichnung bei den 44. Student Academy Awards 2017 (Best Narrative) und war für den Oscar 2018 nominiert.

 

An zweiter Stelle der Rangliste im Jahr 2017 stehen ebenfalls zwei Filme: die französische Animation NEGATIVE SPACE (2015-2017) und mit THE RABBIT HUNT (USA 2017) erstmals ein Dokumentarfilm unter den Top Ten.

Die Stop-Motion-Animation NEGATIVE SPACE erzählt in nur sechs Minuten von einer lebenslangen Vater-Sohn-Beziehung aus der Sicht des Sohnes, dem als Bindung zu seinem Vater nur dessen Ratschläge zum effizienten Kofferpacken in Erinnerung geblieben sind. Die Obsession vergeudeten Platz (’negative space‘) zu vermeiden, führt einerseits zu gemeinsamen Aktivitäten, wirft aber auch ein trauriges Licht auf die Beziehung.

NEGATIVE SPACE wurde von dem US-Amerikaner Max Porter und der Japanerin Ru Kuwahata als in Frankreich ansässiges Duo mit dem Namen Tiny Inventions gemeinsam gestaltet. Produzenten sind Ikki Films in Kooperation mit ARTE France.

Auch dieser Film weist eine beachtliche lange Liste an Festival-Screenings auf. Ab der zweiten Jahreshälfte 2017 bis heute wurde NEGATIVE SPACE bereits auf knapp 100 Festivals gezeigt und wurde auch auf vielen kleineren Festivals ausgezeichnet, die wir nicht auswerten.

Zum großen Bekanntheitsgrad des Films trug sicherlich die Produktionsbeteiligung von ARTE France bei – der Sender postete den Film zeitweise auf Facebook, berichtete über ihn und zeigt ihn noch bis 13. Juni 2018 auf seiner Online-Plattform. Außerdem wird der Film von der sehr rührigen und engagierten Vertriebs- und Verleihfirma Miyu betreut, die 2018 bei den Academy Awards Nominierungen neben NEGATIVE SPACE noch mit einem weiteren französischen Animationsfilm (GARDEN PARTY) vertreten war.

THE RABBIT HUNT (USA 2017) ist seit 2012 der erste Dokumentarfilm, der es in diese Liste geschafft hat und auf Kurzfilmfestivals eine beträchtliche Zahl an Preisen erhielt. Es ist ein beobachtender Dokumentarfilm von Patrick Bresnan (Regie) und Ivete Lucas von der Austin Film Society. Gemeinsam arbeiten sie seit Jahren in den Everglades von Florida an einem Projekt über das Leben der Gemeinden am Okeechobee-See. Der Kurzfilm dokumentiert wie ein Jugendlicher und seine Familie – einer lokalen Tradition folgend – ohne Hilfsmittel Kaninchen jagen und sie mit Stöcken erlegen. Die Jagd findet in Nachbarschaft einer Zuckerfabrik in einer Zuckerrohrplantage statt, indem sich die Jugendlichen den Umstand zu Nutze machen, dass die Tiere bei der Ernte vor den monströs großen Landwirtschaftsmaschinen aus der Deckung fliehen. Die erlegten Tiere werden schließlich in einer ärmlichen Küche zubereitet und verspeist.

In seinen 12 Minuten Laufzeit berührt der Film damit erstaunlich kompakt und komplex auch noch Fragen der industriellen Landwirtschaft und der Verarmung der überwiegend schwarzen lokalen Landbevölkerung.

 

An nächster Stelle in der Rangliste steht mit MIN BÖRDA / THE BURDEN (S 2017) wieder ein Animationsfilm. Regisseurin Niki Lindroth von Bahr bezeichnet ihre Arbeit selbst als ein düsteres Musical in einem modernen Einkaufszentrum. Dort tanzen und singen in vier Episoden Tierfiguren als MitarbeiterInnen in einem Callcenter, einem Fast-Food-Restaurant und einem Supermarkt sowie Gäste eines Motels über ihre Sehnsüchte, der Last der Einsamkeit und Eintönigkeit und der sinnentleerten Arbeit zu entkommen.

Niki Lindroth von Bahr ist eine Künstlerin und Kostümbildnerin, die unter anderem für David Bowie (BLACKSTAR) gearbeitet hat und zuvor die Puppen für den ebenfalls erfolgreichen Kurzfilm LAS PALMAS (Johannes Nyholm, S 2011) entwarf.

MIN BÖRDA startete seine Festivalkarriere im Programm der Quinzaine des Réalisateurs in Cannes und war anschließend auf vielen großen internationalen Festivals zu sehen. Vor kurzem erhielt er auch den schwedischen Filmpreis (Guldbagge 2018). In Deutschland wird der Film vom KurzfilmVerleih Hamburg verliehen.

 

Auf den nächsten vier Plätzen folgen gleichrangig TIMECODE von Juanjo Gimenez, der Spielfilm CHASSE ROYALE und die Animationsfilme KÖTÜ KIZ / WICKED GIRL und FIGURY NIEMOZLIWE I INNE HISTORIE II (IMPOSSIBLE FIGURES AND OTHER STORIES II).

 

CHASSE ROYALE (Träume jagen) von Lise Akoka & Romane Guéret (F 2016) startete bereits 2016 im Programm der Quinzaine des Réalisateurs (Prix du meilleur court métrage) und war 2017 für einen César nominiert. Der Coming-of-Age-Film über ein junges Mädchen, das an einem Film-Casting teilnimmt, wurde von Raoul Pecks Produktionsfirma Velvet Film betreut.

 

KÖTÜ KIZ / VILAINE FILLE (F 2016) von Ayçe Kartal ist ein Zeichentrickfilm zum Thema Kindesmissbrauch. Im Krankenbett weichen die Erinnerungen eines kleinen Mädchen an gute Tage im Dorf bei den Großeltern in Alpträume über Tiere, die zunehmend dämonischer werden. Die Filmseite der Produktion listet die Teilnahme an knapp 60 internationalen Festivals – in diesem Fall überwiegend Animationsfilmfestivals.

 

FIGURY NIEMOZLIWE I INNE HISTORIE II (IMPOSSIBLE FIGURES AND OTHER STORIES II) von Marta Pajak (PL 2016) erinnert mit seinem reduzierten Stil (Tusche auf weißem Papier) an CIPKA – ist aber ornamentaler gestaltet. In dem narrativen Animationsfilm geht es auch um eine Frau in ihrer Wohnung. Nach einer Kopfverletzung an der Tischkante erlebt sie zuhause eine Parallelwelt perfekter Illusionen. Der Film war seit 2016 auf knapp 50 Festival zu sehen.

 

Zu den weiterhin erfolgreichen Filmen gehören – wiederum mit etwa gleich hoher Anzahl an Auszeichnungen – die Filme AND SO WE PUT GOLDFISH IN THE POOL von Makoto Nagahisa (Spielfilm, Japan) und last not least zwei deutsche Animationsfilmproduktionen: OUR WONDERFUL NATURE – THE COMMON CHAMELEON von Omer Eshed (Lumatic, Berlin 2017) und SOG von Jonatan Schwenk (HfG Offenbach 2017).

 

2016 gestartet und weiterhin erfolgreich

 

Einige Filme, die bereits 2016 starteten, setzten 2017 ihre Festivalkarriere erfolgreich fort. Ganz oben in der Rangfolge stehen in beiden Jahren der bereits genannte TIMECODE, der ungarische Animationsfilm BALKON von David Dell‘ Edera und der kanadische Animationsfilm BLIND VAYSHA / VAYSHA, L’AVEUGLE von Theodore Ushev.

 

 

Deutsche Filme

 

2017 waren fünf deutsche Filme und Koproduktionen in der Gruppe der 23 Filme mit mehr als vier Auszeichnungen (2016 waren es ebenfalls 5, 2015 9 Filme).

 

Zu dieser erfolgreichen Gruppe gehören zwei weitere Animationsfilme: Der Ani-Dok-Film KAPUTT von Volker Schlecht & Alexander Lahl (Die Kulturingenieure, Berlin 2015) mit den Stimmen ehemaliger Gefangenen des berüchtigten DDR-Frauengefängnis Burg Hoheneck. Und der Newcomer Nikita Diakur mit der teilweise crowdfinanzierten Computeranimation UGLY (Mainz 2017), welche Puppentricktechnik in dynamischen Computersimulationen verwendet.

 

 

Publikumspreise

 

Insgesamt wurden knapp 185 Publikumspreise erfasst. Während in den letzten Jahren größere Abweichungen zwischen den Voten des Publikums und der Fachjurys nicht festzustellen waren, gab es 2017 nur zwei Überschneidung: OUR WONDERFUL NATURE – THE COMMON CHAMELEON und WATU WOTE (ALL OF US) führten die Liste der populärsten Filme an.

In der Publikumsgunst folgten danach die Satire RED LIGHT (BG/HR 2016), ein Spielfilm von Toma Waszarow und die Integrationskomödie OBST & GEMÜSE von Duc Ngo Ngoc (Spielfilm, Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf 2017).

 

Auffällig und gegenläufig zu den Tendenzen der letzten Jahre ist, dass die beliebtesten Filme beim Publikum, anders als die Voten der Fachjurys, 2017 Spielfilme waren – und nicht, wie erwartbar, Animationsfilme.

 

Die große Mehrheit der Publikumspreise wurden breit gestreut vergeben. 175 der 185 registrierten Auszeichnungen wurden jeweils nur einem Film verliehen!

Im letzten Jahr gab es für alle Top-Ten-Filme der Jurys auch Publikumspreise. 2017 erhielten fünf der Top-Jury-Filme keinen Publikumspreis und nur WATU WOTE eine nennenswerte Zahl (4).

 

 

Filmkategorien

 

Sicherlich sind Filmkategorien und Gattungen heutzutage schwer von einander zu trennen, da viele Filme hybriden Charakter haben. Insofern jedoch die meisten Festivals bei der Einreichung noch Kategorien ankreuzen lassen, gibt es Daten.

 

Unter dem Vorbehalt, dass von fast einem Viertel (400) der registrierten Preisen diese Angaben beziehungsweise Daten fehlen, ergibt sich bei der Gesamtauswertung doch ein deutliches Bild: 549 Preise für Spielfilme, 430 Preise für Animationsfilme und 220 Preise für Dokumentarfilme. 34 Preise gingen an „andere“ (i.d.R. Musikvideos). Auf die Kategorie Experimentalfilm, die als solche besonders fragwürdig geworden ist, entfielen 85 Preise.

Verteilung Kategorien (links alle, rechts Filme mit mehr als 4 Preisen)

Schwer nachzuvollziehen ist, dass unter den 24 Filmen mit mehr als vier Auszeichnungen nur zwei Dokumentarfilme sind – sieht man von dem dokumentarischen Animationsfilm KAPUTT ab. Mit 13 Filmen an der Spitze des Rankings sind Animationsfilme überproportional vertreten. 8 Filme sind Spielfilme.

 

 

Karrieren von Preisträgern renommierter Langfilmfestivals

 

Früher spielten Kurzfilme auf großen Festivals, die überwiegend lange Spielfilme zeigen, nur eine Nebenrolle. Inzwischen programmieren die meisten großen Festivals Kurzfilme nicht mehr als Vorfilm, sondern in eigenen Wettbewerben und verlangen als Teilnahmebedingung eine Premiere. Insofern Kurzfilme überwiegend auf Festivals gezeigt werden, stellt sich die Frage inwieweit hierdurch das Abspiel von Filmen geblockt und Festivalkarrieren ausgeschlossen werden.
 Daten über die Festivalkarriere von Filmen im Programm der großen Langfilmfestivals liegen nicht vor, folgende Auswertung zeigt aber dass, im Falle des Erfolgs auf einem dieser Festivals eher selten weitere Preise folgen.

 

  • Sundance (01/2017): Der Grand Jury Prize (AND SO WE PUT GOLDFISH IN THE POOL, s.o.) und der Award für Animation (KAPUTT, s.o) waren auf zeitlich folgenden Festivals erfolgreich – die Preisträger der übrigen Kategorien jedoch nicht.

 

  • Rotterdam (02/2017): Von den 3 Tiger Awards erhielt nur die lobende Erwähnung RUBBER COATED STEEL von Lawrence Abu Hamdan anschließend noch Auszeichnungen (3 lobende Erwähnungen in Winterthur bzw. bei 25fps).

 

  • Berlinale (02/2017): Der mit dem Goldenen Bär ausgezeichnete CIDADE PEQUENA von Diogo Costa Amarante erhielt anschließend noch eine lobende Erwähnung in Grimstad (N). Der Silberne Bär ENSUEÑO EN LA PRADERA von Esteban Arrangoiz Julien erhielt später noch eine Auszeichnung (Cinequest, San Jose). Für STREET OF DEATH von Karam Ghossein (Audi Short Film Award) gab es keine weitere Auszeichnung.
 Die EFA Nominierung OS HUMORES ARTIFICIAIS von Gabriel Abrantes erhielt einen Regiepreis in Vila do Conde (P).

 

  • Cannes (05/2017): Lediglich der Palm d’Or Preisträger A GENTLE NIGHT von Qiu Yang erhielt anschließend noch Auszeichnungen (Limassol und Chicago Int’l Filmfest). Die Preisträger in den Nebenreihen, bis auf RETOUR À GENOA CITY von Benoît Grimalt (ein Publikumspreis in Montpellier), hingegen nicht.

 

  • Locarno (08/2017): Weder der Pardino d’oro (ANTÓNIO E CATARINA, Cristina Hens) noch der Pardino d’argento (SHMAMA, Miki Polonski) erhielten weitere Preise. Von den beiden Preisträgern im Schweizer Wettbewerb erhielt nur REWIND FORWARD von Justin Stoneham anschließend eine Auszeichnung (lobende Erwähnung in Winterthur).

 

  • Venedig (09/2017): Nur der Preisträger GROS CHAGRIN von Céline Devaux (Orrizonti Award und EFA Nominierung) wurde später nochmal ausgezeichnet (Preis in Gijon). Da Venedig relativ spät im Jahr auszeichnet, sei noch erwähnt, dass von den Vorjahrespreisträgern nur die EFA Nominierung 2016 im nächsten Jahr einen weiteren Preis erhielt (Animafest Zagreb 2017).

 

 

Akkumulation von Preisen – auch 2017 dünne Luft an der Spitze



 

Bereits beim ersten Jahresrückblick (2008) stellten wir fest, dass sich die Verteilungspyramide der Preise an der Spitze stark verjüngt. Im Jahr 2009 waren es nur 15 Filme, die mehr als 4 Auszeichnungen akkumulieren konnten. Im Festivaljahr 2010 akkumulierten 54 Filme fast ein Viertel aller Auszeichnungen. Im Jahr 2011 erhielten nur 18 Filme mehr als 4 Auszeichnungen. 2012 erhielten 30 Filme mehr als 4 Preise. Im Jahr 2013 akkumulierte eine ‚Spitzengruppe’ von 42 Filmtiteln zusammen mehr als 253 Preise (18 Filme mehr als 4 Preise). Im Jahr 2014 akkumulierte die Spitzengruppe von 53 Filmtiteln insgesamt 295 aller Auszeichnungen (26 Filme mehr als 4 Preise) und 956 Filme erhielten nur je eine Auszeichnung. Im Jahr 2015 erhielten 26 Filme mehr als 4 Preise und zusammen 12% aller Auszeichnungen des Jahres. 2016 erhielten wie im Jahr zuvor 26 Filme mehr als vier Auszeichnungen und zusammen 10,4%.

 

2017 erhielten 24 Filme mehr als 4 Auszeichnungen und akkumulierten fast 170, also etwa 10% der registrierten Preisen des Jahres. An nur 1,9 % aller Preisträgerfilme wurden 10% aller Auszeichnungen vergeben. 988 von insgesamt 1.244 ausgezeichneten Filmen erhielten 2017 nur je einen Preis. Damit wurde die Verteilungspyramide am Fundament zwar breiter, an der Spitze aber wieder etwas steiler.

 

 

Reinhard W. Wolf

 

Nachwort (Disclaimer;-) Nach der Veröffentlichung dieser jährlichen Statistik erreichen uns gelegentlich Zuschriften von Filmemachern, die darauf hinweisen, dass sie doch mehr Preise als hier genannt erhalten hätten. Dies ist zweifellos richtig, wenn man weltweit alle Wettbewerbe und Festivals inklusive kleiner regionaler Events berücksichtigt. Die Auswahl der ausgewerteten Festivals ist hier jedoch qualitativ und quantitativ beschränkt. Die Kriterien sind in der Einleitung oben offengelegt. Es sind die gleichen Festivals, die im monatlichen Festivalkalender aufgeführt werden. Falls dort wichtige Kurzfilmfestivals fehlen, sind wir jedoch für Hinweise dankbar!

 

Links zu Regisseuren, Produzenten, Filmen und Trailern

CIPKA (Pussy) Filmseite auf Polish Shorts

CIPKA (Pussy) auf ARTE online

WATU WOTE (All of Us) Filmseite der Hamburg Media School

NEGATIVE SPACE Seite der Filmemacher

NEGATIVE SPACE auf ARTE online

THE RABBIT HUNT, offizielle Filmseite

THE RABBIT HUNT on Vimeo

MIN BÖRDA (My Burden) Filmseite mit Trailer

CHASSE ROYAL Filmseite auf Unifrance

KÖTÜ KIZ / VILAINE FILLE Filmseite der Produktion

FIGURY NIEMOZLIWE I INNE HISTORIE II (IMPOSSIBLE FIGURES AND OTHER STORIES II) Filmseite der Produktion mit Trailer

AND SO WE PUT GOLDFISH IN THE POOL Film auf YouTube

OUR WONDERFUL NATURE – THE COMMON CHAMELEON Film auf Vimeo

KAPUTT Filmseite der Produktion

KAPUTT online New York Times

UGLY Filmseite des Filmemachers

SOG Filmseite des Filmemachers

RED LIGHT Filmseite der Produktion