Dominoeffekt

Report

Dominoeffekt: Finanzkrise trifft auch Kultursektor

Aus der amerikanischen Immobilienkredit-Krise wurde eine Finanzkrise, die wiederum eine weltweite Wirtschaftskrise zur Folge hat. Der Dominoeffekt hat inzwischen auch den Kultursektor erreicht.

Die Folgen waren zuerst im Epizentrum der Krise, also in den Vereinigten Staaten, zu spüren. In den USA stehen insbesondere privat geförderte Kulturinstitutionen vor existentiellen Problemen, weil viele Unternehmen, von deren gutem Willen als „good corporate citizen“ sie abhängen, in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind.

Als erstes und besonders heftig waren die Ausfälle im Bankensektor spürbar. So soll die Investmentbank Lehman Brothers nach einer Einschätzung des Finanznachrichtendienstes Bloomberg bis zu ihrer Pleite jährlich 39 Millionen Dollar für kulturelle Zwecke gespendet haben. Die Bank unterhält unter anderem Anteile am Museum of Modern Art, dessen Vizechefin, Kathleen Fuld, die Ehefrau des Vorstandsvorsitzenden von Lehman Brothers ist. Die Investmentbank unterstützte aber auch die National Gallery und die Tate Gallery in London, den Louvre in Paris und das Städel in Frankfurt …

Zusammen mit Merrill Lynch hatte Lehman Brothers drei Millionen Dollar für die Renovierung des Lincoln Centers – unter anderem Veranstalter mehrerer Filmfestivals und Herausgeber der Zeitschrift Film Comment – zugesagt, die jetzt in den Sternen stehen. Merrill Lynch wurde kurz vor dem Zusammenbruch von der Bank of America gekauft, die jetzt selbst in großen Schwierigkeiten steckt. Von der Bank of America ist unter anderem die Carnegie Hall abhängig …

Auch das Überschwappen der Finanzkrise in andere Wirtschaftszweige macht sich neuerdings bemerkbar. So hat im Januar 2009 der Autokonzern General Motors bekannt gegeben, er werde seine gesamte Kulturförderung einstellen. Insbesondere am Standort Detroit verursacht dies einen Flächenbrand unter den kulturellen Einrichtungen. (siehe: freep.com

freep.com/article/20090108/ENT05/901080372).

In einer dritten Welle schwinden jetzt, wegen der Zinssenkungen, die Kapitalrenditen auf das Vermögen von Kulturstiftungen, die mit diesen Renditen Kultur fördern. Betroffen sind auch, besonders in den USA, die Stiftungsvermögen von kulturellen Institutionen oder Universitäten. Richtig dramatisch sind die Verluste, wenn Vermögen in unsicheren Anlagen oder Hedge Fonds investiert sind. Das Magazin „The Arts Newspaper“ hat recherchiert, das allein durch Kapitalverlust amerikanische Museen mindestens 20 Prozent ihres Vermögens verloren haben.

Auch Filmfestivals sind bereits von der Krise betroffen. Im Oktober letzten Jahres fand Variety durch eine Umfrage unter amerikanischen Festival heraus, das insbesondere kleinere Festivals schwer zu kämpfen haben. Aber auch beim großen Sundance Film Festival ist kurzfristig ein Sponsor ausgefallen. In Europa wurde bekannt, dass die schweizerische UBS ihr Engagement beim Locarno Filmfestival überprüfe.

Zahlen und verlässliche Aussagen sind zu diesem Thema ansonsten jedoch nur sehr schwer in Erfahrung zu bringen. Die Inhalte von Sponsorenverträge gehören zu den bestgehüteten Geheimnissen sowohl bei den Spendern wie bei den Empfängern.

Manche Festivals, wie die Berlinale, steuern mit erhöhten Akkreditierungsgebühren gegen, was aber auch den gegenteiligen Effekt haben könnte, zumal in der Branche Reise- und Spesenetats gekürzt werden. Und, wenn die Krise schließlich beim Verbraucher angekommen ist, gehen auch die Zuschauerzahlen und damit die Eintrittseinnahmen zurück.

In Ländern, in denen Kultur überwiegend staatlich gefördert wird, werden die Folgen wohl erst im kommenden oder übernächsten Jahr deutlich spürbar. Spätestens, wenn die durch Konjunkturprogramme hoch verschuldeten Staaten ihre Haushalte ausgleichen müssen, wird es alle treffen.

Während in einigen Ländern dieses Jahr noch die staatliche Kulturförderung erhöht wurde (u.a. in Deutschland und Frankreich), muss der öffentliche Kultursektor in anderen, härter getroffenen Ländern bereits leiden. So hat, zum Beispiel, Litauen die Mittel für die Kulturhauptstadt Vilnius um 50% reduziert und hat in Großbritannien Kulturstaatssekretär Andy Burnham die Kulturträger des Landes aufgerufen Notfallpläne zu entwickeln. Ab 2010/11 sei mit Kürzungen zu rechnen – natürlich, denn die Briten müssen für die Olympischen Spiele 2012 sparen!

Die bislang bekannten staatlichen Konjunkturprogramme haben weltweit Kunst und Kultur noch nicht als Wirtschaftsfaktor und Konsummotor entdeckt. Schlimmstenfalls wird sogar gutes Geld schlechtem Geld nachgeworfen, wenn nämlich Firmen und Branchen gestützt werden, die maßgeblich für die Krise mitverantwortlich sind. Bestenfalls werden Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten berücksichtigt, jedoch nicht mit Bildungsinitiativen, sondern als Investition in Zement und Steine, um der Bauindustrie zu helfen. Auch der „šnotleidenden‘ Automobilindustrie wird gerne unter die Arme gegriffen, obwohl nicht nur in Deutschland die Kulturwirtschaft weit mehr Menschen beschäftigt und höhere Umsätze macht. So sind in den USA nach einer Schätzung des John F. Kennedy Center for the Performing Arts 5,7 Millionen Menschen in den „Arts“ beschäftigt. Die meisten Kultureinrichtungen und Organisationen arbeiten lokal und sind zu klein, um bei Schließungen – wie sie jetzt beginnen – nationale Schlagzeilen zu machen. Und leider ist der Kultursektor nicht gut genug organisiert, um wie andere Wirtschaftszweige durch ihre Lobby zu fordern, was zu fordern wäre: Bailout the Arts!

rww

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