Der Vorfilm macht den Unterschied

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Der Vorfilm macht den Unterschied

Wie Kurzfilme Kinos neue Marktchancen eröffnen können

Wenn Kurzfilme als Vorfilme den Weg ins Kino finden, sind die Zuschauer in der Regel begeistert. Aber genau das passiert viel zu selten. Statistisch gesehen machen Kurzfilme heute nur noch einen Bruchteil dessen aus, was über unsere Leinwände flackert. Wenn überhaupt, dann tauchen sie eher in Form von programmfüllenden Kompilationen oder „Best of“ Programmen auf, denn als Vorfilm vor dem Hauptfilm.

Das ist einerseits erfreulich – andererseits muss ein bisschen Wehmut ebenso erlaubt sein, wie die Frage, woran es eigentlich liegt, dass der Kurzfilm als Vorfilm heute fast aus dem Kino verschwunden ist. An ausgezeichneten Kurzfilmen mangelt es schon mal nicht: die deutsche Kurzfilmszene boomt und räumt seit Jahren deutlich mehr internationale Filmpreise ab, als die Kollegen aus dem Langfilmbereich. Ebenso wenig lässt sich die Vertreibung des Vorfilms aus dem Kino auf das mangelnde Interesse der Zuschauer zurück führen, darüber legen sowohl ausverkaufte Kurzfilmprogramme als auch die spontane Begeisterung der Zuschauer angesichts sporadisch auftauchender Vorfilme ein deutliches Zeugnis ab.

Es hakt anscheinend vor allem bei den Vermittlungsinstanzen, den Kinos und Verleihern. Gemeinsam bilden beide das Nadelöhr, das ein Film passieren muss, wenn er im Kino erfolgreich sein will. Sie bestimmen im Großen und Ganzen, welche Filme wir im Kino sehen – und welche nicht. Ist der Niedergang des Vorfilms also allein auf die Verleiher und Kinobetreiber zurück zu führen? Auch wenn beide Gruppen zweifellos als „gatekeeper“ zwischen Kurzfilmemacher und Publikum fungieren, greift diese Vermutung zu kurz. Das Kernproblem des Vorfilms besteht darin, dass (bisher) keiner der Beteiligten mit dem Vorfilm Geld verdienen konnte.

Das liegt – absurd aber wahr – nicht daran, dass keiner Vorfilme sehen will. Es mangelt schlicht an einer „ökonomisch tragfähigen Struktur für die Auswertung von Kurzfilmen“, so Reinhard W. Wolf in seinem Beitrag „Lange Wege für kurze Filme“ zum 50. Jubiläum der Kurzfilmtage Oberhausen (1). Momentan bleiben die Kinobetreiber auf allen zusätzlichen Kosten, die ihnen ein Vorfilm beschert (im wesentlichen Filmmiete und Transportkosten) sitzen. Der Vorfilm wird – salopp gesagt – zum Luxusartikel für Kinomacher. Ein Luxus, den sich noch zu wenige Akteure der schwer gebeutelten Kinobranche leisten können. Was fehlt, ist ein von allen Beteiligten (also Zuschauern, Verleihern, Kinos und Filmproduzenten) akzeptiertes Filmabrechnungssytem, das den Vorfilm angemessen an den Erlösen an der Kinokasse beteiligt.

Aufgrund des Mangels einer einheitlichen Lösung haben sich im Lauf der Zeit verschiedene Varianten der Abrechnung und Re-Finanzierung des Vorfilms in Deutschland entwickelt, die Lars Wilde, Mitarbeiter der KurzFilmAgentur Hamburg detailliert beschrieben hat:

1. Subventions-Lösung: Die am häufigsten gewählte Variante, bei der der Eintrittspreis für die Vorstellung gleich bleibt, obwohl ein Kurzfilm als Vorfilm gezeigt wird. Dass ist zwar sehr zuschauerfreundlich, aber das Kino bleibt auf den Kosten für den Vorfilm sitzen, d.h. es subventioniert den Vorfilm aus dem eigenen Budget und gefährdet damit auf lange Sicht die eigene Existenz. 

2. Spende statt Karte: Der Kinobetreiber verlangt bei der Aufführung von Vorfilmen kein erhöhtes Eintrittsgeld, sondern bittet um eine Spende zur Finanzierung des Kurzfilms. Diese Variante kommt hier und da vor, ist aber steuerlich nicht kontrollierbar und fällt deshalb als dauerhafte Lösung aus.

3. Kurzfilm-Sponsor: Eine Reihe von Vorfilm-Kinos hat das Problem der Finanzierung mit Hilfe eines lokalen Sponsors gelöst, der für die Kosten des Vorfilms aufkommt und dafür mit einem Teaser oder Trailer (…dieser Kurzfilm wurde Ihnen präsentiert mit der Unterstützung von…) belohnt wird.

4. Re-Finanzierung durch Prämien: Viele Kinos, die regelmäßig Kurzfilme zeigen, bewerben sich um die Programmpreisprämien des BKM und der Länderförderungen, um ihre zusätzlichen Ausgaben durch diese Preisgelder zu refinanzieren.

Eine Lösung, die bisher nicht im Alltagsbetrieb getestet werden konnte, ist die Einführung einer speziellen Kurzfilmkarte, bzw. die Erhöhung des Eintrittspreises für eine Vorstellung mit Vorfilm (z.B. um 50 Cent pro Karte). Auf diese Weise, so die schon Ende der 90er Jahre formulierte Idee der KurzFilmAgentur, kann der Zuschauer selbst entscheiden, ob er/sie den Vorfilm sehen will und bezahlt dafür bewusst mehr. Aufgrund wiederholter Kritik des Verbands der Deutschen Filmverleiher wurde diese Variante nie flächendeckend erprobt. Der Verband befürchtet eine Aufweichung der langjährig erprobten Abrechnungsmechanismen zwischen Kinos und Verleihern.

Neben den abrechnungstechnischen Bedenken spielt bei der Entscheidung gegen die Etablierung eines Vorfilms im regulären Programm vor allem der Zeitdruck eine Rolle. Die Werbung wurde nach und nach immer länger, so dass sich der Beginn des Hauptfilms in manchen Multiplexen schon mal um 40 Minuten nach hinten verschiebt – wohlgemerkt ohne dass überhaupt ein Vorfilm gezeigt wird. Zusammen mit den immer längeren Hauptfilmen und zusätzlich eingeführten Abspielschienen bleibt zwischen den Vorstellungen oftmals gerade noch Platz für einen schnellen „Austausch“ der Zuschauer und die rudimentäre Säuberung und Lüftung des Saales. Eine Tendenz, die vom Publikum zunehmend unwirsch kommentiert und teilweise mit Abwanderung in andere Kinos beantwortet wird.

Trotz oder gerade wegen solch widriger Bedingungen in manchen Kinos befindet sich der Vorfilm anderswo langsam wieder auf dem Vormarsch. In mehr als 80 deutschen Kinos werden heute schon wieder regelmäßig Vorfilme gezeigt, Tendenz steigend. Darunter sind sowohl Kommunale Kinos und Art House Kinos, aber auch Kino Center und mit dem CineStar seit kurzem sogar ein waschechtes Multiplex. Was sie alle gemeinsam haben, ist der Wunsch, ihren Zuschauern mehr zu bieten, als ein gewöhnliches Kinoprogramm. Sie nehmen die Herausforderung, Kurzfilme in ihr Programm zu integrieren gerne an, weil sie wissen, dass sich diese Investition von Zeit und Geld auf lange Sicht auszahlen wird: einerseits machen sie sich mit einem ungewöhnlichen und anspruchsvollen Programm einen guten Namen, andererseits verleihen sie ihrem Kino mit gut platzierten (und beworbenen) „goodies“ wie einem passenden Vorfilm und/oder weniger Werbung genau das Mehr an Flair, das schließlich den Ausschlag gibt, einen Film gerade in ihrem Kino anzuschauen.
 
Sigrid Limprecht vom Bonner Kino in der Brotfabrik sieht in der Wiedereinführung eines regelmäßigen Vorfilms ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal, das ein Kino von anderen abhebt. Sie beobachtet in den letzten Jahren eine zunehmende Zelebrierung des Kinobesuchs und prognostiziert einen Verdrängungswettbewerb zwischen den einzelnen Häusern, in dem es nicht zuletzt darum geht, welche Kinos sich so aufstellen, dass die Leute gern ihre knappe Freizeit dort verbringen. Die Preise für eine Kinokarte, so Limprecht, spielen in diesem Wettbewerb nicht mehr die primäre Rolle: „Es geht um die Zeit und nicht um die Geldbeutel, du hast einen Babysitter, du hast alles organisiert, und das ist schon schwer genug, dann sparst du nicht einen Euro am Ticket, sondern dann willst du einen guten Abend haben.“

Mit dieser Ansicht steht die Bonner Kinomacherin nicht allein. Das Nachrichtenmagazin SPIEGEL sprach in einer seiner letzten Ausgaben sogar vom Trend zum „Kino mit Seele“ (3) und skizzierte die – teilweise immensen – Anstrengungen (z.B. verstellbare Ledersessel mit individuellem Cateringangebot im Saal), die inzwischen einzelne große Innenstadt-Kinos und Multiplexe unternehmen, um ihren Häusern zu mehr Flair zu verhelfen und damit Zuschauer anzulocken. Es bleibt abzuwarten, ob die Kinozuschauer tatsächlich auf vollautomatische Funktionsmöbel gewartet haben. Eine inhaltlich näher liegende (und deutlich kostengünstigere) Möglichkeit, sein Kino von der Masse abzuheben, ist die Wiedereinführung eines regelmäßigen, gut ausgewählten Vorfilms. Ein Vorfilm, der den Hauptfilm thematisch ergänzt (oder bewusst gegen den Strich bürstet), kann mindestens ebenso gut das Zünglein an der Waage sein, wenn sich der Zuschauer für ein Kino entscheidet.

Diese Überlegung war auch für die Programmverantwortlichen der CineStar-Gruppe ausschlaggebend, die im Oktober deutschlandweit die Veranstaltungsreihe „CineLounge“ starten – Untertitel „Kino mit Geschmack“. Ausgewählte Häuser der Kinokette zeigen zur besten Kinozeit – am Sonntag um 19.00 Uhr – einen Vorfilm zusammen mit einem aktuellen Langfilm aus dem Arthausbereich. Zur Premiere der Reihe läuft (vier Tage vor dem offiziellen Kinostart) „Odette Toulemonde“ des Bestsellerautors Eric Emmanuel Schmitt gemeinsam mit einem thematisch passenden Kurzfilm. Live-Musik und spezielle Weinangebote an der Bar sollen zusätzlich dafür sorgen, dass aus dem Abend ein ganz besonderes Kinoerlebnis wird – für das zwar ein Aufpreis verlangt wird, das aber im Gegenzug lange in Erinnerung bleibt. Hier ist es vor allem der Kurzfilm, der dem Kino zu einem eigenen – wieder erkennbaren – Charakter verhilft.

Die Kurzfilme für ihre Veranstaltungen bezieht das CineStar über den Verleih der Hamburger KurzFilmAgentur, dem ältesten Kurzfilmverleih in Deutschland. Axel Behrens, der für die Beratung zuständig ist, hat die Filme gemeinsam mit den Mitarbeitern des Multiplexhauses sorgfältig ausgewählt und ist sehr gespannt auf die Reaktionen der Zuschauer. Generell kann er den Trend zum Kurzfilm als Markenzeichen nur bestätigen.

Für die Mehrheit der über 60 Kinos, die momentan bei der KurzFilmAgentur ein Kurzfilm-Abo gebucht haben, ist der Vorfilm ein Luxus, den sie sich sehr bewusst leisten. Gerade für die kleineren Häuser, die mehr als die Hälfte der Abonnenten ausmachen, ist die Abogebühr von 1.000 EUR im Jahr (für wöchentlich wechselnde Kurzfilme) ein Posten, der zwangsläufig aufgrund ihrer prekären wirtschaftlichen Situation jedes Jahr wieder zur Disposition steht. Doch trotz teilweise großer finanzieller Schwierigkeiten bleibt die Mehrheit der Abonnenten dem Kurzfilm-Abo seit Jahren treu, weil sie merken, dass sie damit ihr Publikum enger ans Haus binden.

Als Kurzfilmverleiher der ersten Stunde kennt Axel Behrens natürlich auch die Gründe, die ein Kino davon abhalten, Vorfilme zu zeigen. Behrens zufolge scheuen viele Kinobetreiber den finanziellen und zeitlichen Mehraufwand, den die Integration von Vorfilmen für die Kinos bedeutet. Die Kurzfilme verursachen nicht nur Miet-Kosten, sondern müssen auch ausgesucht, programmiert, bestellt, beworben, ausgepackt und mit dem Langfilm gekoppelt werden. Noch größer als diese praktischen Bedenken scheint allerdings die Berührungsangst mit den kurzen, den „anderen“ Filmen zu sein. Selbst engagierte Kinobetreiber kommen mit Kurzfilmen im normalen Leben so gut wie nie in Kontakt, weil Lang- und Kurzfilm sich in Deutschland noch immer in verschiedenen Sphären bewegen. Die wenigsten Kinobetreiber wissen, welche aktuellen Kurzfilme gerade zur Verfügung stehen und dass ihnen die Modalitäten des Kurzfilmverleihs vollkommen unbekannt sind. Deshalb war das einfach zu handhabende Abo-System des Hamburger KurzFilmVerleihs, das den Kinos erlaubt, die Gesamtkosten auf ein Jahr von vornherein genau zu kalkulieren, bei seiner Einführung 1994 der erste unverzichtbare Schritt auf dem Weg des Vorfilms zurück ins Kino.

Um den Kinobetreibern auch die weiteren Schritte zu einer Integration (oder besser: Reintegration) des Kurzfilms zu erleichtern, hat sich bereits vor einem Jahr unter Federführung der Filmförderungsanstalt (FFA) die „Arbeitsgruppe Vorfilm“ gebildet. Mit im Boot sind die Verbände der Kinobetreiber (AG Kino-Gilde, Hauptverband Deutscher Filmtheaterbetriebe e.V. und der Bundesverband kommunale Filmarbeit), der Verband der Filmverleiher und die AG Kurzfilm (Bundesverband deutscher Kurzfilm). Gemeinsam entwickelten sie einen ehrgeizigen Plan für die Rückeroberung des Kinos durch den Vorfilm. Ein wichtiger erster Schritt ist das geplante Pilotprojekt „Kurzfilm als Vorfilm im Kino“, das im September auf der Filmkunstmesse in Leipzig der Filmbranche präsentiert wurde.

Die Vorfilm-Initiative kommt gerade rechtzeitig, um mit ihren Verbesserungsvorschlägen Eingang in die 2008 anstehende Novelle der Filmförderungsgesetzgebung (FFG) zu finden. Die bisherige dort enthaltene Regelung (§ 20), die das Abspiel von Kurzfilmen stimulieren sollte, hat sich in den vergangenen Jahren als ineffektiv herausgestellt (LINK Vgl. Artikel „Welche Förderung braucht der Kurzfilm?), so dass neue Ideen dringend gebraucht werden.

Das auf die Bedürfnisse der Kinobetreiber abgestimmte Pilotprojekt fußt auf einem einfachen Abo-Modell, flankiert von einem umfassenden Informationsservice, der sich sowohl auf Filmempfehlungen als auch auf die Unterstützung in technischen Fragen oder der Öffentlichkeitsarbeit erstreckt. Das Projekt soll durch eine zentral entwickelte, groß angelegte Werbekampagne deutschlandweit bekannt gemacht werden. Alle teilnehmenden Kinos haben Zugriff auf professionell gestaltete Werbematerialien, die zentral erstellt werden und von den Kinos je nach Bedarf in Anspruch genommen werden können, um ihren eigenen Arbeitsaufwand zu minimieren. Um den einzelnen Kinos die Teilnahme finanziell zu erleichtern, soll schließlich im neuen FFG eine Regelung verankert werden, nach der Kinos, die regelmäßig Kurzfilme zeigen, durch Zuschüsse in Form von jährlich gewährten Fixbeträgen unterstützt werden.
Die Vorfilm-Initiative könnte so die Weichen stellen, um den Kurzfilm schon bald wieder als Vorfilm im Kino zu etablieren. Alle relevanten Institutionen stehen geschlossen hinter dem Projekt und durch umfangreiche Gespräche mit Kinobetreibern aus ganz Deutschland konnten auch die Wünsche und Bedürfnisse der Basis gezielt in die Planung miteinbezogen werden. Die Kinos haben mit der Vorfilm-Initiative die Möglichkeit, gezielter auf die Wünsche ihres Publikums einzugehen. Mit einer kreativen Programmgestaltung, die Vorfilm und Hauptfilm geschickt kombiniert, können sie den Besuchern in Zukunft genau das bisschen mehr an Atmosphäre bieten, das zwischen Werbung, Popcorn und frisch gepolsterten Funktionssesseln manchmal verloren geht.

Autorin: Luc-Carolin Ziemann

Fußnoten:
(1) Wolf, Reinhard W.: Lange Wege für kurze Filme. Zur Ökonomie des Kurzfilms in Deutschland, in: kurz und klein, Hrg. Int. Kurzfilmtage Oberhausen, Hatje Cantz Verlag: Ostfildern-Ruit, 2004
(2) Wilde, Lars: „Der Kurzfilm im Kino – Ein Weg aus der Krise?, Diplomarbeit an der Fachhochschule Pforzheim 1997
(3) Scheele, Markus: „Seele kostet extra“, im SPIEGEL, Nr. 41, vom 8.10.2007, S. 94

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