Bjørn Melhus

DAS BESTE AUS BEIDEN WELTEN – Bjørn Melhus will sich nicht zwischen Black Box und White Cube entscheiden müssen

NO SUNSHINE © Bjørn Melhus

NO SUNSHINE © Bjørn Melhus

Bjørn Melhus ist einer der bekanntesten deutschen Kurzfilmemacher und Medienkünstler und gleichzeitig einer der wenigen, dessen Arbeiten sowohl auf Kurzfilmfestivals als auch in der Kunstszene internationale Aufmerksamkeit und Anerkennung finden.
In seinen Kurzfilmen und Installationen beschäftigt er sich mit den Möglichkeiten einer kritischen Rezeption der durch die Massenmedien be- und gesetzten Themen, Figuren und Wahrnehmungsmustern. Viele seiner Arbeiten stellen die scheinbar festgelegten Relationen zwischen Medium und Zuschauer in Frage, indem sie populäre Figuren und Themen aus Film und Fernsehen fokussieren und sie durch Überspitzung dekonstruieren.

Melhus studierte in der Film- und Videoklasse von Birgit Hein1 an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und machte bereits in seinen ersten Hochschuljahren Erfahrungen mit dem selbstverständlichen Nebeneinander von Bildender Kunst und Film. Seit 2003 lehrt Melhus als Professor für Professur für Bildende Kunst/ Virtuelle Realität an der Kunsthochschule Kassel. Er selbst definiert sich bis heute eher als Film- und Videomacher.

„Wenn ich musste, habe ich mich früher manchmal für den Begriff des Filme- oder Videomachers entschieden, aber nicht für den des Künstlers. Das mag pragmatisch klingen, aber mein Hintergrund ist einfach mal der Film, und da gibt es im Vergleich zum herkömmlichen Künstlerbegriff doch einige Unterschiede – in der Art der Produktion, den Kontexten, der Art der Präsentation, den Vertriebsbedingungen und vor allem auch im Umfeld und im Umgang mit dem Werk selbst.“2

Bjørn Melhus Filme und Video sind regelmäßig bei Film- und Medienkunstfestivals wie den Kurzfilmtagen Oberhausen, dem European Media Art Festival Osnabrück, dem IMPAKT Festival in Utrecht und der Transmediale Berlin zu sehen.
In den letzten Jahren wurden künstlerische Arbeiten von ihm in der Tate Modern in London, dem Museum of Modern Art in New York, der Serpentine Gallery London, dem Sprengel Museum Hannover, dem Museum Ludwig in Köln, dem ZKM Karlsruhe und dem Centre Pompidou in Paris gezeigt.


Blicke hinters Zauberglas – Filme über die Faszination des Fernsehens

Melhus, geboren 1966, war Teil der ersten Generation, die mit dem Massenmedium Fernsehen und den dazugehörigen Figuren aus Filmen und Serien aufwuchs. Er sagt von sich selbst, dass ihn vor allem amerikanische Filme und Serien (wie Flipper, Fury und Lassie) geprägt haben, auch wenn er heute auf das Personal dieser Filme mit sehr ambivalenten Gefühlen und einer Mischung aus Faszination und Ekel reagiert.3
Immer wieder reflektiert er in seinen Arbeiten die Tatsache, dass mit der massenhaften Verbreitung des Fernsehens eine virtuelle Medienwirklichkeit neben die tatsächliche Lebensrealität getreten ist, die ausgesprochen starke Bilder und viele bisher ungekannte Identifikationsfiguren bietet. Melhus versammelt in seinen Arbeiten inzwischen eine ganze Reihe von Figuren, die wie Ableitungen aus dem audiovisuellen Erbe Amerikas wirken und die sich nicht nur in einer, sondern häufig gleich in mehreren Arbeiten tummeln. In seinen Arbeiten hinterfragt er hintersinnig, auf welche Art und Weise sich die Massenmedien der Klaviatur unserer Emotionen bedienen, ja sogar in der Lage sind, ihr ganz neue Tonarten zu entlocken. Standen in den ersten zehn Jahren vor allem die schillernden Protagonisten des TV im Mittelpunkt von Melhus künstlerischen Auseinandersetzungen, konzentriert er sich ungefähr seit dem Jahr 2000 mehr auf die Strukturen und Rhythmen des Mediums.

Sein noch im Studium entstandener 39-minütigen Film WEIT, WEIT WEG (1997) wird häufig als Schlüsselwerk der ersten Phase seiner künstlerischen Arbeit verstanden. Der Film ist eine seiner längsten und komplexesten Arbeiten und führt eine Reihe von Charakteren und Themen ein, die bis zum Ende der 90er Jahre sein Werk bestimmen.4
Hier macht Melhus endgültig zur Methode, was heute zu seinem signifikantesten Kennzeichen geworden ist5:  er verkörpert alle Charaktere in seinen Filmen selbst. Dies ist ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste Teil seines künstlerischen Konzepts, das auf einem radikal subjektiven Ansatz des Filmemachens beruht. Melhus sieht sich dabei keinesfalls als Schauspieler, sondern versucht in seinen Figuren verschiedene Teile seiner selbst zu verkörpern. Die Hauptfigur Dorothy in WEIT WEIT WEG nennt er seine wichtigste, intimste und persönlichste Rolle. Die Geschichte orientiert sich an der Erzählung DER ZAUBERER VON OZ, bzw. der Verfilmung des Stoffes in der Judy Garland die Rolle des kleinen Mädchens „Dorothy“ spielte, die durch einen Wirbelsturm in ein Märchenland voller guter und böser Gestalten katapultiert wird und fortan den Weg nach Hause sucht. Melhus selbst sieht in WEIT WEIT WEG einen Film über „Herkunft, um die Frage, ein Zuhause zu verlassen, woanders hin zu gehen, sich selbst zu verändern und um Sehnsüchte.“ 6
Bjørn Melhus – mit Zöpfen, einer lindgrünen Schleife und dem dazu passenden Strampelanzug – verkörpert Dorothy, indem er mit „ihrer Stimme spricht“. Er benutzt Audio Found Footage aus den verschiedensten Ausgangsmaterialien – in diesem Fall vor allem der Verfilmung des Stoffes mit Judy Garland – um zuerst die Tonspur zu montieren und dann die Bilder passend dazu mit Lippensynchronisation aufzunehmen. Beides, seine ständige Präsenz als Protagonist und der eigenwillige Tonschnitt machen seine Arbeiten bis heute unverwechselbar.


Der Spagat zwischen Filmfestivals und Kunstkontext

Bjørn Melhus hat sich wie eine Reihe anderer Filmemacher und –künstler, die im Kontext von Filmfestivals bekannt geworden sind (z.B. Corinna Schnitt, Matthias Müller oder Christoph Girardet), in den letzten 5-10 Jahren dem Kunstkontext zugewandt und begonnen, seine Arbeiten nicht mehr ausschließlich auf Film- und Medienkunstfestivals, sondern auch im Museum zu zeigen.
Die Kunstinstitutionen haben sich längst gegenüber dem Bewegtbild geöffnet. Mit der Weiterentwicklung der Videotechnik wurde es auch für Museen und Galerien immer einfacher, Filme und Videos in Ausstellungen einzubeziehen. Diese technische Weiterentwicklung führte jedoch nicht immer dazu, dass deren Präsentation im Ausstellungsraum grundsätzlich unter zufriedenstellenden Bedingungen stattfindet. Ganz im Gegenteil hat die einfachere Handhabung der Technik vielerorts nicht eine Verbesserung der Projektionsbedingungen zur Folge gehabt, sondern eine Nachlässigkeit angesichts der spezifischen Anforderungen, die die Projektion von Film- oder Videobildern an den Raum bzw. seine Kuratoren stellen.7
In einem Interview, das ich am 22. März telefonisch mit Bjørn Melhus geführt habe, kritisiert er, dass Film- und Videoarbeiten in Galerien und Museen häufig immer noch völlig inadäquat präsentiert werden.

„Bei manchen Ausstellungen fragt man sich, wie das gemeint ist. Da werden drei Videos hinter einander auf eine Wand projiziert, in einem Raum, in den sehr viel Licht herein fällt. Jedes Video ist über eine Stunde lang und es steht ein alter Holzstuhl da und gegenüber steht ein Monitor, der zu einer anderen Arbeit gehörte und aus dem es permanent laut plärrte. Das ist so für die Katz. Da geht es nur noch darum zu sagen, wir haben auch diese drei Filme mit in der Ausstellung, also um das Label und um Name-dropping. Das scheint mir manchmal so, dass es gar nicht mehr so gemeint ist, dass man sich das wirklicht anguckt.“

Trotz solcher teilweise gravierender Probleme der Präsentation ist die Affinität von Film- und Videokünstlern zum Kunstkontext ungebrochen. Bjørn Melhus beschreibt vor allem zwei Gründe für diese Hinwendung zum Kunstkontext, die sicherlich nicht nur für ihn persönlich gelten, sondern auch eine allgemeine Tendenz beschreiben.


Die Freiheit der Kunst – Der White Cube ermöglicht formale und formative Vielfalt

Die Arbeit für den Ausstellungsraum erlaubt dem Künstler, ganz andere Formen und Formate für seine Ideen zu entwickeln. Essentiell für viele Arbeiten Bjørn Melhus’ war schon früh der Loop, der bei Melhus weit mehr ist als nur eine technische Möglichkeit, ein Video im Ausstellungskontext dauerhaft ohne Pause vorzuführen. In Arbeiten wir NO SUNSHINE (1997) übernimmt der Loop auch eine erzählerische Funktion und ist deshalb unverzichtbar – was zu gewissen Problemen bei der Präsentation der Arbeit im klassischen Kinokontext führt.

Anfangs produzierte Melhus häufig noch zwei Versionen einer neuen Arbeit, heute entscheidet er sich meist dagegen, mit einer Arbeit im White Cube und in der Black Box zu agieren und produziert statt dessen unterschiedliche Werke für die jeweiligen Auswertungskontexte. Doch bis heute zeugen alle seine Arbeiten – auch diejenigen, die sich von der klassischen Filmerzählung bereits weit entfernt haben – durch ihren exzessiven Gebrauch von Footage aus Film und Fernsehen davon, dass ihm das Bewegtbild als Motivation,  Ausgangsmaterial und Thema seiner Arbeiten dient.

Beispielhaft wird dies deutlich in seiner Installation PRIMETIME (2001), in der sich Melhus mit dem Phänomen der Fernsehtalkshows beschäftigt. In dieser großflächigen Installation, die sich bei ihrer ersten Präsentation im Kunstverein Hannover über zwei große Räume erstreckte, werden die Zuschauer nach dem Betreten des ersten Raums mit einem Turm aus fünf übereinander gestapelten Fernsehern über eine bühnenartig auslaufende Showtreppe in den zentralen Raum mit 29 an den Wänden verteilten Fernsehgeräten geführt. Die TV-Monitore zeigen allerdings keine Video- oder Filmbilder, sondern erleuchten den Raum mit stroboskopartig flackerndem Licht, das – abgestimmt auf die Sounds auf der Tonebene – Farbe, Helligkeit und Rhythmus verändert. Hier wird ganz deutlich, dass die Monitore für Bjørn Melhus längst nicht mehr nur als Abspielgeräte für Videoaufnahmen dienen, sondern selbst zum Teil der Skulptur geworden sind. Durch die Inszenierung der Räume wird der Zuschauer selbst zum Teil der Talkshow und kann in die Kaskade von Ton, Licht und verschiedenen auf die den Monitoren gegenüberliegende Wand gebeamte Videobilder eintauchen.

Mit solchen skulpturalen Arbeiten im Raum hat sich Bjørn Melhus weit von seinen Ursprüngen als Film- und Videokünstler entfernt und er nimmt die Möglichkeiten, die ihm die Arbeit im Kontext von Galerien und Museen bietet, gerne an. Trotzdem entstehen parallel durchaus auch weitere Single-Channel Videoarbeiten, wie THE MEADOW oder THE CASTLE (beide 2008), die zwar ebenfalls für den Galeriekontext entwickelt wurden, aber auch als Kurzfilme im Kino funktionieren und dort auch immer wieder zu sehen sind.

Mit MURPHY (2008), einem nur 3,5 Minuten langen Film, der ganz ohne klassische Bewegtbilder auskommt und ausschließlich mit farbigen Videobildern und dem typischen Audio-Found-Footage Soundtrack das Thema Krieg im Film ins Visier nimmt, gewann Melhus 2009 bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen gar den Preis der Kinojury, die dem Film bescheinigte, dass er auch, bzw. gerade ohne Bilder die Essenz des Kriegs- bzw. Actionfilms extrahiert hat. Durch die geschickte Montage erlebt „der Zuschauer, der sich auf dieses Filmerlebnis einlässt“ selbst eine actiongeladene Szene, in der er „mit dem startenden Helikopter langsam abhebt, durchgeschüttelt wird und schließlich behutsam wieder in seinem Kinosessel landet“8 so die Jury in ihrer Urteilsbegründung.

Finanzierungsmöglichkeiten

Es ist nicht ohne Ironie, das gerade ein Video wir MURPHY den Preis der Kinojury bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen erhalten hat, denn es ist mehr als unwahrscheinlich, dass dieses Video überhaupt großflächig im Kino zu sehen sein wird. Experimentelle Kurzfilme schaffen in Deutschland so gut wie nie den Weg ins Kino. Wenn dies, vielleicht im Rahmen einer Kurzfilmrolle, doch einmal passiert, hat es für den Filmemacher kaum nennenswerte finanzielle Vorteile, wie Bjørn Melhus mit einigem Galgenhumor beschreibt.

„Bis Ende der 90er Jahre hab ich mich fast ausschließlich im Festivalkontext bewegt und mit Videovertrieben gearbeitet. In dieser Zeit bekam ich durchaus bei Aufführungen immer mal wieder 20 DM als Filmmiete in die Hand gedrückt, manchmal waren es sogar 30 oder 50 DM. Das ist dann natürlich so eine Sache… als ich das gemacht habe, hab ich schon gemerkt, dass man mit Videokunst nicht reich werden kann. (…) Hätte ich in den ersten 10 Jahren meiner Arbeit nicht noch andere Jobs nebenher gemacht und irgendwelche Wohnungen renoviert, dann wäre es nicht machbar gewesen.“

Ohne Stipendien, Förderungen, Lehraufträge und gänzlich fachfremde Tätigkeiten war und ist es unmöglich, mit Film- und Videokunst im Festivalkontext genug Geld zu verdienen, um über den Stand der Selbstausbeutung hinaus zu kommen.
Der Kunstkontext bietet Filmemachern eine weitaus bessere Möglichkeit, sich zu finanzieren9 als es der Filmkontext – also Festivals und Film- und Videovertriebe – in Bezug auf künstlerische Filme und Videos je vermocht hat. Dazu kommt der Vorteil, dass sich multimedial arbeitende Künstler im Ausstellungsraum vielfältiger künstlerisch entfalten können, weil die Paradigmen der Präsentation viel offener sind als in der Black Box, wo festgelegte Standards gelten. Dieser Vorteil verkehrt sich allerdings angesichts der teilweise anzutreffenden mangelnden Sensibilität und Sachkenntnis gegenüber dem Bewegtbild nicht selten ins Gegenteil.

Bjørn Melhus hebt im Gespräch hervor, dass er wenig davon hält, dieser Tendenz mit festgesetzten Standards für die Präsentation von Bewegtbildern im Ausstellungsraum entgegen zu treten, sondern statt  dessen mehr Sensibilität für das einzelne Werk einfordert.

Grundsätzlich plädiert er dafür, den White Cube auch als Ausstellungsraum zu nutzen und ihn nicht durch bauliche und technische Manipulationen in eine (notwendigerweise mangelhafte) Black Box zu verwandeln. Gerade für längere, narrative Arbeiten gibt es Melhus zufolge kaum eine Art und Weise der Präsentation im White Cube, die den Erfordernissen gerecht wird. Für kürzere Single-Channel-Arbeiten verweist er – neben eigentlich selbstverständlichen Basics wie einer guten, lichtstarken Projektion, einem möglichst abgedunkelten Raum und Sitzgelegenheiten – auf eine gute akustische Abgrenzung zu anderen Arbeiten und einem klaren Display, aus dem ersichtlich ist, wie lang die Projektion dauert und zu welcher Zeit man sie von Anfang rezipieren kann.10

„Narrative Filme im White Cube ergeben eine seltsame Seherfahrung. (…) Wenn ich ein Buch lese, fange ich ja auch nicht in der Mitte an!“

Trotz der beschriebenen Vorteile des Kunstkontextes halten Bjørn Melhus (und andere) daran fest, ihre Arbeiten auch weiterhin im Kontext von Filmfestivals, in dem sie und ihre Arbeiten groß geworden sind, zu zeigen. Auch dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe:

Die Limitierung des Blicks und der Mangel an Diskurs

Mit der Entwicklung der digitalen Foto- und Videotechnik wurde das Benjamin’sche Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit umfassender verwirklicht, als es sich Benjamin 1935 vorstellen konnte. Von einem digitalen Videofilm lassen sich im Handumdrehen, bzw. mit einem Klick hunderte gleichwertiger Kopien herstellen, im Internet sind der Vervielfältigung keine Grenzen mehr gesetzt.

Der Kunstmarkt beruht allerdings auf dem Handel mit Unikaten.

Um digitale Videoproduktionen im Kunstmarkt verwerten zu können, bedienen sich Künstler und Galerien der Idee der Edition, also der künstlichen Limitierung der Arbeiten, die in ähnlicher Form bereits in der Fotographie Anwendung findet.

Bjørn Melhus, der seit Ende der 90er Jahre von verschiedenen Galerien vertreten wird, limitiert seine Installationen inzwischen auf 3 oder 5 Exemplare, die dann an Sammler und Museen verkauft werden. Er behält sich grundsätzlich vor, darüber hinaus ein Künstlerexemplar zu produzieren, das er selbst verleihen und zeigen kann, eine bei Installationen durchaus gängige Praxis.

Als viel problematischer empfindet Melhus die Limitierung bei einkanaligen Videoarbeiten, die rein formal gesehen in jedem beliebigen Raum gezeigt werden könnten, sprich: kein spezielles Environment benötigen. Hier erlebte er sehr bald nach seinem Einstieg in den Kunstmarkt die paradoxe Situation, dass Museen und Sammlungen bereit waren, weitaus mehr für eine Arbeit zu zahlen, wenn sie künstlich limitiert wurde.

„Es ist der Wunsch, etwas zu haben, was andere nicht haben. Das ist eine Ökonomie, so funktioniert der ganze Kunstmarkt. (…) Über die Limitierung wird ein Mythos aufgebaut.“

Diese Kunstmarktlogik ist der Festivallogik gewissermaßen entgegen gesetzt. Während es den Wert eines Filmes im Festivalzirkel steigert, wenn er möglichst häufig zu sehen ist, gebietet es die Logik des Kunstmarkts, dass Filme als Kunst an Wert verlieren, je weiter sie verbreitet werden. Um den Preis einer Arbeit zu steigern, muss das Publikum also möglichst knapp (und exklusiv) gehalten werden.

Bjørn Melhus kritisiert, dass durch die forcierte Exklusivität unintendierte Nebeneffekte eintreten, die womöglich sogar der Weiterentwicklung der Kunst schaden können, weil z.B. Nachwuchskünstler gar nicht mehr wissen können, was es schon gibt.

Gleichzeitig verhindert die Limitierung von künstlerischen Film- und Videoarbeiten und die damit einhergehende Einschränkung der Sichtbarkeit jeden halbwegs öffentlichen Diskurs. Das sei ein Problem für die Kunstgeschichte, „die nicht mehr die Möglichkeit hat, in ihrer Forschungsarbeit künstlerische Arbeiten im Film- und Videobereich sehen zu können, weil die in irgendwelchen Kellern weggeschlossen sind und nur alle 5 Jahre mal zur Aufführung kommen dürfen. So wird Kunstgeschichte vermehrt nur über das Stille-Post-Prinzip des Weitererzählens geschrieben und das ist eine große Schwierigkeit.“

Auch die aktuelle Kunstkritik krankt daran, dass ihr auf weiter Strecke die Erfahrungsbasis fehlt, über Arbeiten überhaupt urteilen, zu mit anderen vergleichen zu können. Diesen Mangel an Auseinandersetzung wertet Melhus als wichtigsten Minuspunkt im Vergleich zum Filmkontext.

„Die zeitgenössische Kunst ist zu einem Rummelplatz verkommen, wo es nur noch darum geht, in welcher Institution welcher Name gezeigt wird und wer hinterher was für wie viel Geld in welcher Galerie anbietet. Über die Sache an sich, die Kunst, redet kaum noch einer, das ist wirklich schlimm.“

Bjørn Melhus ist sich des Problems, ein Phänomen zu kritisieren, dessen Teil er selbst ist, natürlich bewusst. Seine Strategie gegen die Tendenz der Exklusivität und das drohende Ende des Diskurses ist das konsequente Festhalten an beiden Standbeinen: Filmfestivals und Kunstkontext.
Für ihn gehören bestimmte Film- und Medienkunstfestivals zu den wenigen Orten, „an denen überhaupt noch geredet wird über die Arbeit.“ Dies sei einer der großen Vorteile von Festivals gegenüber dem Kunstkontext, den es unbedingt zu bewahren gelte.

 

FAZIT

Zusammenfassend kann man sagen, dass sich für Künstler wie Bjørn Melhus die beiden Systeme Black Box und White Cube auf relativ sinnvolle Weise ergänzen. Wer wie er Zugang zu beiden Sphären hat, ist in vielen Fällen in der Lage, sich durch seine filmkünstlerische Arbeit zu finanzieren und die Nachteile des Kunstkontextes wie eingeschränkte Sichtbarkeit, verbesserungswürdige Präsentationsbedingungen und mangelnden Diskurs dadurch wettzumachen, dass man sich eben auch noch im Festivalkontext bewegt. Auf lange Sicht erscheint ein solches Nebeneinanderher allerdings nicht sinnvoll für die Weiterentwicklung der Film- und Videokunst, die sich permanent im Spagat befindet.

Eine Möglichkeit, für seine Arbeiten trotz der Limitierung eine Plattform zu schaffen, zeigt Bjørn Melhus Webseite www.melhus.de. Hier sind Ausschnitte seiner Filme und Videos und Videodokumentationen seiner installativen Arbeiten zu sehen, die einen sehr guten Eindruck über sein Werk vermitteln. In der Sektion „private view“, für die zuerst ein Passwort angefordert werden muss (so dass seine Mitarbeiter die Kontrolle darüber behalten können wer zu welchem Zweck Einblick bekommt) sind die Arbeiten auch in Gänze zu sehen.

Diese Vorgehensweise könnte Teil des möglichen Weges sein, der die aufgezeigten Probleme des Nebeneinanders von Black Box als Chiffre für Kinoauswertung von Filmen und Videos im Festivalkontext und White Cube als Chiffre für Museen, Galerien und den Kunstmarkt, anzugehen und zu minimieren. Letztlich bleibt das größte Problem aber sicher die unterschiedliche Logik, die hinter beiden Verwertungsebenen steht:

Im Kunstkontext geht es um den Begriff des Originals und um die Exklusivität des Blicks und im Festivalkontext geht es um eine möglichst große Reichweite und die Auseinandersetzung mit anderen Arbeiten und Künstlern. Beides ist schwer in Deckung zu bringen – aber es ist nicht unmöglich. Die Zukunft und der Ideenreichtum all der Künstler, die wie Bjørn Melhus den dauerhaften Spagat zwischen beiden Welten leben, wird zeigen, ob beide Sphären voneinander lernen und sich (gemeinsam) verändern können.

 

Links

www.melhus.de
Film zwischen Black Box und White Cube, Reinhard W. Wolf: http://www.shortfilm.de/de/das-kurzfilmmagazin/archiv/themen/film-zwischen-black-box-und-white-cube-teil-1.html

Siehe auch die  Beiträge zum Thema „Kunst und Film“ von Stefanie Schulte Strathaus (Arsenal, Berlin) und Michael Mazière (London) in der Rubrik Gastbeiträge.

Filme, Videos und Installationen von Bjørn Melhus

Hecho en Mexico, 2009, (Video, 4 min., loop)
Mars Recovery, 2009, (Installation, Mixed Media)
Scenery Mars, 2009, (Video loop)
Critical System Alert, 2009 (12 channel video installation)
Beagle III, 2009 (video installation for 3 TVs)
Deadly Storms, 2008 (3 channel installation) 7 min. loop
Still Men Out There, 2008 (6 channel installation) 10 min. loop
Tree House # 2, 2008 (video installation for tree)
O-Man, 2008 (Video loop)
Murphy, 2008 (Video) 4 min.
The City , 2007 (Video installation, variable, ongoing project)
99 Floors, 2007 (Video) 4 min.
The Castle, 2007 (Video) 24 min.
The Meadow, 2007 (Video) 28 min.
Captain, 2005 (2 channel installation) 14 min. loop
Eastern Western Park, 2005 (6 channel video installation)
Happy Rebirth, 2004 (Video) 2 min.
Auto Center Drive, 2002 (16 mm Film) 28 min.
Die umgekehrte Rüstung, 2002 (Video) 24 min., loop
Sometimes (Fire in Zero Gravity), 2002 (5 channel video installation) 8 min., loop
Weeping, 2001 (Video projection in 2 canvases) 7 min., loop
Primetime, 2001 (3 channel installation on 29 consumer TVs) 11 min. loop
The Oral Thing, 2001 (Video) 8 min. loop
Transitions, 2001 (3 channel video installation) 4 min.
Good Morning New World, 2000 (Video) 58 min.
Silver City I (Silvercity ist Weit, weit weg), 1999 (Video installation) 7 min.
Silver City II (The End of the Beginning), 1999 (Video installation) 7 min.
Again and Again, 1998 (Installation for 8 monitors) 6 min.
Departure Arrival, 1998 (Video installation) 7 min., loop
Blue Moon, 1997 (Video) 4 min., loop
No Sunshine, 1997 (Video) 6 min., loop
Out of the Blue, 1997 (Video) 4 min.
Epreskert, 1996 (Installation and Video) 4 min.
Home 1, 1996 (Video sculpture) 8 min., loop
Weit Weit Weg, 1995 (16mm Film auf Video) 39 min.
OdEssay Video Mail, 1994 (Video installation)
Jetzt (Now), 1993 (Video) 5 min.
Reinigungskassette, 1993 (Video) 60 min.
Das Zauberglas, 1991 (Video) 6 min.
Ich weiß nicht, wer das ist, 1991 (Video) 3 min.
America Sells, 1990 (Video) 7 min
Nicht werfen!, 1988 (Video installation) 16 min.
Cornflakes, 1987 (16 mm Film) 2 min.
Toast, 1986 (16 mm Film) 1 min.

1 Birgit Hein prägte den filmischen Underground im Deutschland der 60er und 70er Jahre als Filmemacherin, Kuratorin und Autorin. Sie selbst bewegt sich seit mehr als 40 Jahren in ihrer filmischen und vor allem in ihrer kuratorischen Arbeit (z.B. für die documenta 6) im Spannungsfeld zwischen Film und Kunst und betont immer wieder, dass die Diskussion, wie man Filme im Kunstzusammenhang zeigen kann, bis heute nicht abgeschlossen ist, weil sich im Kunstkontext immer noch keine adäquaten Standards zur Präsentation von Film- und Videoarbeiten durchgesetzt haben. ( Birgit Hein in: Wähner, Christin: Experimentalfilmprogramme in der 60er und 70er Jahren, in: Klippel, Heike (Hg.): The Art of Programming. Film, Programm und Kontext, Münster 2008, S. 104-118)
2 Bjørn Melhus in: Das scheinbar Leichte und Unterhaltsame ist ein Trojanisches Pferd“, Gespräch mit Wulf Herzogenrath in: Herzgogenrath, Wulf, Buschhoff, Anne: Bjørn Melhus, Katalog 2002, S. 8
3 Vgl. „Same, same but different oder: Die Suche nach dem Eigenen ist eine Unmöglichkeit“, ein Gespräch mit Ulrike Lehmann, in: Kunstforum International, Bd. 167, 2003, S. 229
4 Der Film bezieht sich auf viele bereits in früheren Filmen eingeführte Figuren und Bilder, z.B. die Kommunikation zweier Charaktere über Fernseher (wie in DAS ZAUBERGLAS 1991) und schafft Protagonisten, die bis heute immer wieder in einzelnen Arbeiten auftauchen, z.B. Dorothy (in THE MEADOW 1997 oder AUTO CENTER DRIVE 2002) oder bearbeitet Themen, die auch in späteren Werken wieder aufgenommen werden wie die Duplizierung des eigenen Selbst, der man in vielen verschiedenen Arbeiten, allen voran AGAIN AND AGAIN 1998 wieder begegnet.
5 Und was er in DAS ZAUBEERGLAS 1991 bereits erprobt hatte.
6 Bjørn Melhus im Interview mit Ulrike Lehmann: Same, Same but Different oder: Die Suche nach dem Eigenen Ich ist eine Unmöglichkeit, in: Kunstforum, Bd. 167, 11/12 2003, S. 236
7 Zum Vergleich lohnt sich dieser Text von Lars Henrik Gass, dem Leiter der Int. Kurzfilmtage Oberhausen, der sagt: „So sehr es auch zu begrüßen ist, dass diese Filmemacher [wie Kenneth Anger, Bruce Connor oder Robert Breer, L.C.Z.]  nun die Meriten des Kunstmarkts erfahren, so wenig einzusehen ist es, dass sie aufgeführt werden, als hätten sie ihre Filme vor Kurzem in N.Y. auf DV gedreht und noch niemals zuvor einen Avantgardefilm gesehen.“ Gass, Lars Henrik: Experimentalfilm oder Film-Avantgarde. Ein Plädoyer für den Diskurs – und eine andere Aufführungspraxis, in: KOLIK film, Sonderheft 13/ 2010, S. 61-67
8 Vgl. http://www.kurzfilmtage.de/rueckblick/2009/preistraeger/kinojury.html, Stand: 16.04.2010
9 Dies ist umso notwendiger, als es auch im Bereich der Produktionsförderung gravierende Probleme für Künstler gibt, die mit Film und Video arbeiten wollen und dafür Filmförderung beantragen wollen. Angesicht des fast flächendeckenden Wegfalls künstlerischer Filmförderungen und ausgesprochen unflexibler Antragsmodalitäten ist es heutzutage für Künstler fast unmöglich geworden, in Deutschland ein Projekt mit Hilfe staatlicher Filmfördergelder zu finanzieren.
10 Als beispielhaft nennt er die die Präsentation in der Ausstellung 3’, die 2004 von Max Hollein, Hans-Ulrich Obrist und Martina Weinhart für die Frankfurter Schirn Kunsthalle kuratiert wurde. Hier wurden alle Videos in abgetrennten Räumen gezeigt und die Besucher konnten über Leuchtschilder über den Türen feststellen, wann die gänzlich sehr kurzen Arbeiten von Neuem beginnen würden. Zusätzlich zur Ausstellung wurde auch ein Katalog mit einigen theoretischen Texten, den Beschreibungen der Arbeiten und einer DVD mit allen in der Ausstellung gezeigten Filmen erstellt.

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