Dagie Brundert

Dagie Brundert: Leben und Filmen im Super-8 Paralleluniversum

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ACH, IST ES SCHÖN EIN KÄFER ZU SEIN © Dagie Brundert

Die Super-8-Filmemacherin Dagie Brundert wurde 1962 in Ostwestfalen geboren, studierte visuelle Kommunikation und experimentelle Filmgestaltung in Krefeld und Berlin und beschäftigt sich seit 1987 mit Super 8-Filmen. 1994 gründete sie gemeinsam mit Ramona Welsh und Pamela Homann das Filmerinnenkollektiv FBI – FREIEN BERLINER ISCHEN, das vier Jahre lang Super-8 Film-Shows in Berlin veranstaltete. Seit dem Ende der regelmäßigen Screenings leuchten Dagie Brunderts kurze Super-8 Filme in unregelmäßigen Abständen auf verschiedenen Filmfestivals auf, erhellen Leinwand und Gemüt und machen jedes Mal Lust auf mehr.

In einer Zeit, in der überall von Video-on-Demand, HD-Projektion und Visitenkartenfilmen die Rede ist, wirken diese Filme wie kleine anachronistische Solitäre, die – meilenweit entfernt von aktuellen filmischen Trends – eine Wirkung entfalten, die in keinem Verhältnis zu ihrer Größe steht.

„Super 8 ist für uns ein wirklich großes Medium – der Größe unserer Leidenschaft und der Mythen, die das Kino und unser Leben umtreiben, entsprechend.“

Dagie Brundert und Ramona Welsh (1)

Tatsächlich mutet die Filmwelt von Dagie Brundert oft ausgesprochen mythisch an – und das, obwohl sie oft ganz banale Situationen zum Ausgangspunkt nimmt. Zum Beispiel den höchsten Spiegel der Welt, den sie in einem Pensionszimmer während des Kreta-Urlaubs fand und der augenscheinlich nur für Menschen über 2,20 gedacht war. Nachdem diese kleine Skurrilität mit viel Verve und Sprungkraft auf Film gebannt worden war, entwickelte sie im Laufe des Urlaubs nach und nach eine verrückte Geschichte, mit der das Phänomen des Riesenspiegels sich schließlich erklären ließ.

Was als kleine zufällige Alltagsabsurdität begonnen hat, wird zum Ausflug in die griechische Mythenwelt, in der die Menschen noch viel größer waren als heute und sich die Zeit damit vertrieben, sich gegenseitig aufgrund kleinlicher Gründe in Marienkäfer zu verwandeln. Um diesen Fluch aufzuheben, müssen erst diverse Mohnblumen gestreichelt und andere haarige Opfer gebracht werden, damit DER HÖCHSTE SPIEGEL DER WELT / BERÜHR DAS ROTE NICHTS – 2 FILME IN 1 mit einem wunderschönen Happy-End schließen kann.

In dieser kunstvollen, knapp fünfminütigen Miniatur ist so gut wie alles vertreten, was Dagie Brunderts Filme so liebenswert macht: die bereits angesprochene Skurrilität des Alltags, die nur der wahrnimmt, der offen für Neues durch die Welt flaniert, viel Rotwein und Musik, eine mythische Märchengeschichte, eine Handvoll Blumen, Käfer und Ziegen, die leise ihre Lieder singen, eine sorgfältig nachvertonte Tonspur und einfache, aber charmante Animationselemente.

Olaf Möller, Filmpublizist und Kurator, der im Jahr 2000 ein Sonderprogramm mit Super-8 Filmen von Dagie Brundert und Ramona Welsh zusammenstellte, stellte fest, dass es vor allem das „völlig und absolut ungebrochen-unironische der Filme“ sei, das einen umhaut und das Herz bricht. (2)

So singen in ACH, ES IST SO SCHÖN EIN KÄFER ZU SEIN! zwei Pappkäfer vor der Kulisse einer echten Blumenwiese zur Melodie von Miriam Makebas „Pata Pata“ ein Loblieb auf ihr Käferdasein. Allerdings erst, nachdem sie alle anderen ihnen vorstellbaren Daseinsweisen – etwa als Hund (da müsste man seinem Herrchen ständig Stückchen apportieren) oder als Schaffner der Deutschen Bahn (die inzwischen leider auch keine Löcher mehr in die Karten machen dürfen, sondern nur noch blaue Zahlen hinterlassen) – sorgfältig gegeneinander abgewogen haben. Wer will, kann darin eine zu einfache philosophische Botschaft lesen, kann sich über die simplen Animationstechniken mokieren oder die absolute Naivität des Films aufs Korn nehmen. Man kann aber auch dem breiten Lächeln, das sich während der Projektion aufs Gesicht schleicht, Raum geben und den kleinen, versponnenen Film einfach genießen.

Dagie Brunderts Filme leben von ihrer Unmittelbarkeit, von den poetischen Bildern, die den Alltag gegen den Strich bürsten und nicht zuletzt von der augenzwinkernden Ernsthaftigkeit, mit der sich die Filmemacherin in regelmäßigen Abständen aus ihrem Super-8 Paralleluniversum zu Wort meldet. Obwohl sie selbst immer betont, wie wichtig Zufälle für die Entstehung ihrer Arbeiten sind, haben die fertigen Filme nichts Zufälliges mehr an sich, sondern wirken immer rund und in sich stimmig.

„Der Zufall ist mein Freund – auch wenn ich mir bis heute nicht sicher bin, ob es ihn wirklich gibt. Auf jeden Fall gibt es aber einen gewissen Humor des Universums, für den man offen sein kann, mit dem man sogar spielen kann. Viele meiner Filme sind so aufgebaut: ich finde zufällige Bilder, die mich durch ihre Schönheit oder auch ihre Absurdität beeindrucken und dichte Ihnen dann im Nachhinein eine Lügengeschichte an.“

Dagie Brundert (3)

In manchen Fällen wird dieses erprobte Prinzip jedoch auch umgekehrt, wenn ein vorangegangenes Erlebnis so stark war, dass es hinterher nur noch per Film angemessen verarbeitet werden kann. Bei ZEITPUNSCH hatte dieses Erlebnis unzweifelhaft etwas mit halluzinogenen Substanzen zu tun, deren Wirkungsweise Brundert im Herbst 1996 zu neuen Erfahrungen verholfen hat. Die Aufhebung der Einheit von Raum und Zeit wird im Film durch den namensgebenden ZEITPUNSCH, dessen geheimes Rezept „nur von Dagie zu Dagie“ weitergegeben wird, ausgelöst. Nach dem Genuss des Zaubertranks kann die Dagie im Film nicht nur vorwärts und rückwärts sprechen, sondern sogar mit den Tieren kommunizieren. Durch Doppelbelichtungen und eine stetig im Tempo hin und her mäandernde Tonspur bekommt der Zuschauer des kurzen schwarz-weißen Films zumindest eine ungefähre Ahnung, wie sich ein solcher Rausch wohl anfühlen könnte. Natürlich ist ZEITPUNSCH kein Plädoyer für gepflegten Drogenmissbrauch. Es geht vielmehr darum, einen Zustand der erweiterten Wahrnehmung zu beschreiben, in dem uns die ganze Komplexität des Lebens gegenwärtig wird, weil die Schutzschilde, die uns normalerweise vom Aberwitz des Lebens abschirmen, außer Kraft gesetzt sind. Diese fragile Offenheit für das absurde Schöne und die schönen Absurditäten des Lebens ist es, die Dagie Brunderts Filme so magisch machen. Gerade in ihrer absoluten Subjektivität und Naivität bieten sich Andockpunkte für den Zuschauer.  Die Bilder dienen nicht nur als Vehikel für metaphernreiche Thesen, sondern stehen schlicht und einfach für sich selbst. Das Leben – gelebt ohne Wenn und Aber – ist aufregend genug.

Eine weitere Ausnahme von der goldenen Regel „Jedes Bild hat Anspruch auf seine eigene Lügengeschichte“, stellen die sogenannten „Hausaufgabenfilme“ dar, bei denen der gesamte Film durch ein vorgegebenes Thema erst initiiert und inspiriert wird. Eine ganze Reihe solcher Filme entstand zwischen 1994 und 1997 für die Veranstaltungen der „FBI – Freien Berliner Ischen“. Gemeinsam mit Ramona Welsh und Pamela Homann bereicherte Dagie Brundert in diesen intensiven Jahren das Nachtleben mit eigenen und fremden Filmen in ihren regelmäßigen Filmshows in der Berliner Aktionsgalerie. In dieser Phase, die sie selbst als ihre mit Abstand kreativste Zeit bezeichnet, entstanden zu den zwei-monatlichen Shows, die häufig einem bestimmten Thema gewidmet waren, regelmäßig neue Filme aller drei Macherinnen und manchmal sogar Beiträge aus den Reihen der Zuschauer, denen die Themen (wie z.B. „Fish + Ships“, „Zahlenfilme“, „Italo“, „Götter & Göttinnen“ etc.) vorher bekannt gegeben wurden. Die Filmshows schrieben auch deshalb Geschichte, weil die Macherinnen mit viel Liebe zum Detail weit mehr daraus machten als reine Super-8 Abende. Neben den extra hergestellten Filmen wurden vergessene Super-8 Perlen vom Flohmarkt projiziert, Gäste eingeladen, thematisch passendes Essen gereicht und halsbrecherische Performances mit fliegenden Teebeuteln veranstaltet.

Die Veranstalterinnen folgten bei der Planung der Abende einem einfachen Prinzip: sie machten genau das, worauf sie gerade Lust hatten. Nicht mehr und nicht weniger. Und durch diese Unbedingtheit trafen sie eine ganze Reihe von Menschen ins Herz.

Noch heute schwärmen sowohl die ehemaligen Gäste als auch die drei Ischen von diesen Abenden, die nach vier Jahren zu Ende gingen, weil die kreativen Reserven vorerst erschöpft waren. Für Dagie Brundert war die Zeit mit FBI einerseits geprägt durch die das ungewohnt enge Teamwork (das sich allerdings auf die Veranstaltungsorganisation beschränkte – bis auf eine Ausnahme haben die drei ihre Filme stets getrennt voneinander gemacht), andererseits durch den direkten Kontakt zum Publikum. Letzteres vermisst sie heute, denn auch die Einladungen zu Filmfestivals können diese Lücke nicht schließen.

„Film ist in gewisser Weise eine sekundäre Kunst, da ist keine direkte Interaktion und keine Reaktion des Publikums vorgesehen. Anders als zum Beispiel bei der Musik, da kriegt man als Künstler sein Feedback direkt und unmittelbar. Deshalb habe ich diese Filmshows so geliebt, denn dort war ein direkter Kontakt möglich und in der relativ intimen Atmosphäre haben die Zuschauer – anders als zum Beispiel bei den meisten Filmfestivals –  auch wirklich die Möglichkeit genutzt, Fragen zu stellen, sich direkt zu äußern oder eben, quasi die Königsdisziplin, selbst einen Film zu machen. Das finde ich immer noch sehr schön, wenn man merkt, dass man mit seinen Filmen die Leute kicken kann, selbst zur Kamera zu greifen und Filme zu machen.“

Dagie Brundert

Wenn Dagie Brundert zur Kamera greift, geschieht dies so gut wie immer ohne einen konkreten Verwertungszusammenhang vor Augen. Seit fast zwanzig Jahren entstehen so jährlich zwei bis fünf Filme, die immer wieder auf internationalen Festivals gezeigt werden, aber ansonsten einem kleinen Kreis von Freunden und Super-8 Enthusiasten vorbehalten bleiben. Allen Kennern der deutschen Kurzfilmszene ist Dagie Brundert deshalb vertraut, darüber hinaus dürfte ihr Name jedoch nur wenigen ein Begriff sein.

Das heißt im Umkehrschluss, dass sie ihre Arbeit als Filmemacherin zwangsläufig von der Existenzsicherung abgekoppelt hat. Brundert macht keine Kurzfilme, um davon zu leben, sie arbeitet vielmehr, um sich das Filmemachen leisten zu können. Kein einziger ihrer Kurzfilme entstand mit öffentlichen Fördergeldern. Nicht zuletzt deshalb benutzt sie auch heute noch gerne Super-8 Material (statt 16mm oder gar 35mm), denn mit Super-8 kann jeder gut und günstig alleine zu Hause produzieren, das Material eignet sich ebenso für die Animationssequenzen wie für Realfilm und es hat – last but not least – die unvergleichliche Optik, die für ihre Arbeit so charakteristisch ist. Nur sich selbst und der Freude am Filmen verpflichtet, hat sie auf diese Weise eine konsequent eigene Handschrift entwickelt, die heute selten geworden ist.

Wie sich diese Handschrift auf andere Formen übertragen lässt, wird sich bald zeigen. Momentan schneidet Brundert zusammen mit der Künstlerin Gabriele Kahnert nach drei Drehjahren an ihrem ersten gemeinsamen Langfilm, einem experimentellen Musikdokumentarfilm mit Musik der Band Calexico, gedreht auch – aber nicht ausschließlich –  auf Super-8 Film.

Luc-Carolin Ziemann

Wer mehr über Dagie Brundert und ihre Filme erfahren möchte, der sei auf ihre stets aktuelle Webseite verwiesen: www.dagiebrundert.de

Fußnoten:

(1) http://www.dagiebrundert.de/Ilseserika.html

(2) Olaf Möller in: Für Dich und mich, und für alle lieben und guten Menschen und auch für die, die es gar nicht verdient haben (und derer gibt es viele), Katalog der Int. Kurzfilmtage Oberhausen 2000, S. 215

(3) Dieses wie alle weiteren Zitate Dagie Brunderts stammen aus einem Interview, das die Autorin im Juni 2007 mit Dagie Brundert führte.

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